Eudaimonismus
in einem weiteren Sinne die Theorie, dass das Ziel allen menschlichen Handelns in der Eudaimonie, dem Glück, liege. In einem engeren Sinne heißen nur die Moraltheorien eudämonistisch, die das Ziel des moralischen Handelns in der Eudaimonie sehen. Diese Doppeldeutigkeit ist schon bei Aristoteles in der Eth. Nic. angelegt, wo die eudaimonia einerseits als das Ziel der Staatskunst (politike techne) als der höchsten aller Künste angesehen wird (1095 a 14 ff.), andererseits als das Ergebnis spezifisch moralischen Handelns erscheint: Die spezifischen Lebensformen werden daraufhin untersucht, worin für sie jeweils das höchste Gut besteht, ob in dem Wohlergehen mit Tüchtigkeit oder der Autarkie oder der Lust oder dem Reichtum, der Ehre usw. Wenn aber Glück das höchste menschliche Gut ist, um dessentwillen alles übrige, was der Mensch als ein Gut begehrt, erstrebt wird und Glück »ethische Vollkommenheit und ein Vollmaß des Lebens« voraussetzt (1100 a 4), dann kann dieses Glück nur indirekt verwirklicht werden, indem der Mensch sich bei allem, was er tut, um moralische Vervollkommnung bemüht und dabei hofft, auf günstige äußere Bedingungen zu treffen, die ihm ein gutes Leben ermöglichen (vgl. 1101 a). Man kann die eudaimonistischen Moraltheorien danach einteilen, worin sie die eudaimonia sehen, sei es in einem gemeinsamen Glück (sozialer E.) oder in einem individuellen (individueller E.). Die antike Moraltheorie ist fast durchgängig eudämonistisch, ob sie nun das Glück in die Lust (hedone), wie Aristipp, oder in die Tugend, wie die Stoa, legt. Auch das Christentum ist nicht ohne eudämonistische Züge, denn für sein eigenes Seelenheil zu sorgen ist ein eudämonistisches Ziel. Die Neuzeit kennt einen ausgeprägten sozialen E. im Utilitarismus Benthams: nicht mehr das Glück des Einzelnen, sondern das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl ist das Ziel des moralischen Handelns. J. S. Mill bestimmte das Glück der utilitaristischen Theorie als Lust (pleasure) und Freisein von Unlust. Welche Art des Glücks als ranghöher zu bewerten ist, darüber müsse ein Mehrheitsvotum entscheiden. – Gegen den E. hat Kant (Metaphysik der Sitten, Vorrede) eingewendet: »Wenn Eudämonie (das Glückseligkeitsprinzip) statt der Eleutheronomie (des Freiheitsprinzips der inneren Gesetzgebung) zum Grundsatze aufgestellt wird, so ist die Folge davon Euthanasie (der sanfte Tod) aller Moral.«
MSU
LIT:
- D. Thom: Vom Glck in der Moderne. Frankfurt 2003.