Horizontverschmelzung
zentraler Terminus der philosophischen Hermeneutik H.-G. Gadamers. Im Zuge der Untersuchung der Bedingungen geisteswissenschaftlichen Verstehens, das aufgrund seiner historischen und perspektivischen Komponente methodisch vom naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn zu unterscheiden ist, erweisen sich der Entwurf eines historischen Horizontes und die Entwicklung eines wirkungsgeschichtlichen Bewusstseins als wichtige Momente des Verstehensvollzuges insbesondere in der Auslegung von Texten. Der Vorgang des Verstehens lässt sich Gadamer zufolge beschreiben als Versuch, mit dem auszulegenden Text ›ins Gespräch zu kommen‹, d.h. den eigenen in steter Bildung und Erprobung befindlichen Verstehenshorizont, die eigenen Maßstäbe und Vorurteile, mit dem historischen Horizont des Textes zu verbinden. Sich dergestalt in historische Horizonte zu versetzen bedeutet nicht »eine Entrückung in fremde Welten, die nichts mit unserer eigenen verbindet, sondern sie insgesamt bilden den einen großen, von innen her beweglichen Horizont, der über die Grenzen des Gegenwärtigen hinaus die Geschichtstiefe unseres Selbstbewußtseins umfaßt« (S. 309). Verstehen wird somit gefasst als Vorgang der Verschmelzung wechselseitig sich überlappender und beeinflussender Horizonte in der nicht-distanzierbaren hermeneutischen Situation. »Im Vollzug des Verstehens geschieht eine wirkliche Horizontverschmelzung, die mit dem Entwurf des historischen Horizontes zugleich dessen Aufhebung vollbringt« (S. 383).
AW
LIT:
- H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzge einer philosophischen Hermeneutik. Tbingen 1960, 61990.