Introspektion
(lat. introspicere: hineinblicken, -schauen), abgeleiteter Kunstausdruck, der die (gegebenenfalls kontrollierte) Selbstbeobachtung, d.h. die unmittelbare subjektive Beobachtung der eigenen im Bewusstsein gegebenen mentalen Zustände oder Erlebnisse bezeichnen soll. Im Unterschied zur intersubjektiv ausweisbaren und irrtumsanfälligen Beobachtung von Gegenständen der Außenwelt geht mit dem affirmativen Gebrauch von I. der Anspruch einher, über einen in verschiedenerlei Hinsicht privilegierten Zugang zu unserem »Innenleben« zu verfügen.
Der in der Philosophie und der aufkommenden experimentellen Psychologie des ausgehenden 19. Jh. verwendete Begriff ist der Sache nach als erkenntnistheoretischer Angelpunkt schon bei Augustinus und Descartes und vor allem bei den englischen Empiristen (Locke, Berkeley, Hume) vorhanden: »consciousness«, »internal sense«. – Die »klassische« Auffassung von der I. (Wundt; James) wurde innerhalb der sich entwickelnden psychologischen Forschung als unwissenschaftlich, weil intersubjektiv nicht ausweisbar, bald abgelehnt. Jedoch spielen Erlebnisberichte (»verbal reports«) von Versuchspersonen und Patienten auf verschiedenen Gebieten der empirischen Psychologie weiterhin eine methodisch wichtige Rolle. – In der Philosophie haben im Anschluss an Ryle begriffsanalytische Erwägungen die I. obsolet werden lassen. Trotz eines in neuerer Zeit unternommenen Versuchs, I.en mit Rücksicht auf wissenschaftliche Vorgehensweisen philosophisch zu rehabilitieren (Holenstein), lassen empirische Untersuchungen in der Kognitionspsychologie Zweifel nicht nur an der Verlässlichkeit und daher der Brauchbarkeit dieser Methode aufkommen, sondern auch an der Existenz des Phänomens.
BBR
LIT:
- W. Alston: Varieties of Privileged Access. In: American Philosophical Quarterly 8 (1971). S. 223241
- E. G. Boring: A History of Introspection. In: Psychological Bulletin 50 (1953). S. 169189
- E. Holenstein: Introspektion. In: Ders.: Von der Hintergehbarkeit der Sprache. Frankfurt 1981. S. 84155
- Nisbett/DeCamp Wilson: Telling More Than We Can Know: Verbal Reports on Mental Processes. In: Psychological Review 84 (1977). S. 231259
- G. Ryle: Der Begriff des Geistes. Stuttgart 1969. S. 219225.