Isosthenie
»gleichwertiger Widerstreit«, Schlüsselbegriff im Pyrrhonismus, mit dem das Plausibilitätsgleichgewicht zweier entgegengesetzter Behauptungen bezeichnet wird. Der Pyrrhonismus ist ein ethisch motivierter Skeptizismus, der um der Glückseligkeit willen umfassende Enthaltung des Urteils (Epoché, skeptische) erstrebt. Zur Urteilsenthaltung entschließt man sich dabei nicht; vielmehr ist die Epoché ein unwillkürlicher Zustand, der infolge der I. von Behauptungen und Argumenten eintritt. Im Pyrrhonismus wird daher versucht, I. bezüglich aller Sach- und Wertfragen herbeizuführen, was durch kunstvolle Strukturierung bestehender Kontroversen geschieht. Ob die im Widerstreit stehenden Behauptungen wirklich »gleichwertig« sind, ist keine Frage objektiv-logischer, sondern subjektiv-psychologischer Einschätzung. Wenn jemand zwei Positionen samt der jeweiligen Pros und Contras als gleich stark und gleich plausibel empfindet, muss das nicht heißen, dass sie sich objektiv neutralisieren. Dem Pyrrhoneer reicht es jedoch, sich selbst bei der Diskussion jeder Sach- und Wertfrage an den Punkt zu bringen, an dem ihm die widerstreitenden Antworten als gleichwertig erscheinen. – Insofern die I. subjektiv zur wechselseitigen Neutralisierung widerstreitender Meinungen und Meinungssysteme führt, kann sie, wie O. Marquard im Rahmen seiner Aktualisierung des Pyrrhonismus gezeigt hat, auch unter den Bedingungen der Moderne als probates Mittel zur »Entlastung« des Einzelnen verwendet werden.
AE
LIT:
- M. Hossenfelder: Umgang mit Alternativen in der Skepsis. In: Ethik und Sozialwissenschaften 5 (1994). S. 567 ff
- O. Marquard: Abschied vom Prinzipiellen. Stuttgart 1981
- Sextus Empiricus: Grundri der pyrrhonischen Skepsis. bers. v. M. Hossenfelder. Frankfurt 52002.