Naturzustand
auch Urzustand. Im Rahmen der Vertragstheorien stellt der »N.« ein Gedankenexperiment dar, in dem die Bedingungen des Lebens in einem vorgesellschaftlichen oder vorstaatlichen Zustand fiktiv rekonstruiert werden. Er zeigt die natürlichen Freiheiten und Rechte auf und benennt die denkbaren Konflikte. Durch ein solches Konstrukt soll der Nachweis erbracht werden, dass es rationale Gründe gibt, einen solchen N. zu verlassen und einen Gesellschaftsvertrag zu schließen. Er ist durch eine absolute Ungebundenheit der Einzelnen gekennzeichnet, in dem die Koexistenz mit anderen Individuen nicht sichergestellt ist. In den klassischen Vertragstheorien ist er bestimmt durch die Gefährdung des Lebens aufgrund der unbeschränkten Freiheit aller (Hobbes), die Unsicherheit im Hinblick auf die Respektierung der natürlichen Rechte (Locke), durch das Selbsterhaltungsrisiko, dem der Einzelne unterworfen ist (Rousseau). – In der rechtfertigungstheoretischen Vertragstheorie von Rawls übernimmt das Konstrukt »Schleier des Nichtwissens« die Funktion eines Urzustandes (»original position«). Der in einer Entscheidungssituation Befindliche soll kein Wissen über seine gesellschaftliche Situation, seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten in die Überlegung einfließen lassen, damit sichergestellt ist, dass er nach allgemeinen Gesichtspunkten die Entscheidung für bestimmte gesellschaftliche Prinzipien des Zusammenlebens trifft. Das allen gemeinsame Interesse richtet sich auf die für alle gleichermaßen günstigste Verteilung der grundlegenden Güter (Rechte, Freiheit, Chancen, Einkommen).
PP
LIT: