Verfassung
Unter terminologischem Anspruch wird von V. heute meist im Sinne von Rechtsverfassung gesprochen. Dabei ist nicht das Rechtssystem als Gesamt positiver Gesetzesbestimmungen gemeint, sondern enger das Verfassungsrecht als (fragmentarisch offene) Rahmennormierung der politischen Daseinsweise einer Gesellschaft. Als Verfassungsgesetz ist die V. die oberste Norm der Rechtsnormen einer Gesellschaft (Norm der Normen). Diese reflektiert aber den normativen Anspruch und das Selbstverständnis einer Gesellschaft von deren humaner und politischer Existenz. Die V. ist somit ein Grenzbegriff der Artikulation und Umsetzung der moralischen und politischen Vorstellungen in rechtliche Existenz. Die Eigenart der Verfassungslehre gegenüber der Rechtslehre, mit deren Unterscheidung von V. und Verfassungsgesetz (Staat und Rechts-V.), wurde in den verfassungstheoretischen Diskussionen der Weimarer Republik (R. Smend, C. Schmitt, H. Heller) begrifflich expliziert. Dabei öffnete sich die juristische Betrachtung, die in der Rechtslehre H. Kelsens ihren konsequentesten Verfechter hatte, verfassungshistorischen, -soziologischen und -politischen Fragestellungen und Einsichten und entdeckte damit zugleich die ethische Frage nach dem Verhältnis der Rechtsnormen zu metajuristischen normativen Voraussetzungen der Sittlichkeit des Daseins einer Gesellschaft neu. Damit berührte die Verfassungslehre klassisch-politische Fragen nach der Gerechtigkeit der V. im System der Sittlichkeit. Von der verfassungstheoretischen Unterscheidung von V. und Verfassungsgesetz her lässt sich wieder fragen, ob wir (als politische Einheit) nicht nur eine gute V. haben, sondern auch in guter (humaner) V. sind.
RM
LIT:
- U. K. Preu (Hg.): Zum Begriff der Verfassung. Frankfurt 1994
- C. Schmitt: Verfassungslehre. Mnchen 1928.