Akt/Potenz
zentrales Begriffspaar der aristotelischen Philosophie, zurückgehend auf die von Aristoteles gebrauchten Termini energeia (Wirkung, Macht, Tun) und dynamis (Vermögen, Möglichkeit i.S. von Anlage zu etwas). Aristoteles entwickelte diese Begrifflichkeit gegen seine eleatischen Vorgänger (die Leugner jeder Bewegung) und die sog. herakliteischen Flusstheoretiker (die Leugner von Stillstand und Identität) »zur Lösung der alten Streitfrage« (Physik I.8), wie Bewegung überhaupt möglich sei. Für Aristoteles (Met. IX) muss jedes Gewordene (erstes Seiendes) als konkretes X (etwa die Erzsäule) aus einem anderen nicht-X geworden sein. Dieses »aus-etwas« nennt er die Stoffursache (causa materialis). Im Stoff (Erz) ist das konkret wirkliche X seiner Möglichkeit nach bereits angelegt, ohne zugleich das konkrete X in voller Bestimmung zu individuieren. Erst durch den Akt der Formung (etwa des Künstlers) gelangt der Stoff zu seiner konkreten Bestimmtheit und wird auf diese Weise zum individuierten wirklich Seienden. Dem Akt und mithin der Form (causa formalis) kommt von daher in der aristotelischen Erklärung des Werdens gegenüber der Potenz das absolute Primat zu (Met. IX 8.). Diese Lehre wird in der Scholastik vor allem in einen theologischen Kontext gestellt: So wird Gott bei Thomas von Aquin und Duns Scotus als reiner Akt (actus purus) gedeutet, da jede Potenz auch stets Materie, mithin Akzidenz und Unbestimmtheit bedeutet. Actus/potentia.
MFM
LIT:
- M.-T. Liske: Aristoteles und der logische Aristotelismus. Freiburg 1985. S. 236259
- J. Stallmach: Dynamis und Energeia. Mnchen 1959
- W. Viertel: Der Begriff der Substanz bei Aristoteles. Knigstein 1982. S. 343456.