Actus/Potentia
Das Begriffspaar a./p. (Akt/Potenz) gibt die aristotelische Unterscheidung von Wirklichkeit/Vermögen (energeia/Dynamis) wieder: A. bezeichnet das Bestehen eines Sachverhalts (Holz brennt), jedoch nicht so, wie man sagt, er bestehe dem Vermögen nach (Holz brennt i.S.v. ist brennbar), sondern insofern er gegenwärtig besteht (Dieses Holz brennt gerade). – Jede Veränderung lässt sich auffassen als Überführung von der P. in den A.: Erz als solches vermag eine Statue zu sein und wird durch den Künstler in eine wirkliche Statue überführt; Feuer bringt brennbares Holz wirklich zum Brennen; das Sehvermögen wird im Sehakt aktuiert. P./A. beschreibt somit ein analoges Verhältnis: P. verhält sich zum A. wie das Erz zur Statue, wie Brennbarkeit zum Brennen, wie das Sehvermögen zum Sehakt, etc. Von einem aktiven Vermögen (p. activa) spricht man, wenn eine Sache aus sich selbst heraus eine P. in den A. überführen kann (Seh-/Denkvermögen), von einem passiven Vermögen (p. passiva), wenn die Aktuierung durch etwas anderes bewirkt und daher nur erlitten wird. Lebewesen sind wesentlich durch aktive P.n, Lebloses durch passive P.n gekennzeichnet. Erster Akt (a. primus) ist diejenige Wirklichkeit, durch die eine Sache überhaupt besteht, zweiter Akt (a. secundus) dagegen die Verwirklichung eines besonderen Vermögens, das in der Wesensform angelegt ist. – Der A. ist erkenntnistheoretisch und ontologisch vorrangig: Eine P. wird nur vom A. her erkannt; die Überführung einer P. in den A. kann nur durch etwas bewirkt werden, das selbst schon im A. ist. – Was immer für seinen Seinsakt (a. essendi) eines anderen Wirklich-Seienden bedarf, bleibt auch im A. durch Potentialität gekennzeichnet (Kontingenz); Prinzip der Potentialität ist bei den aus Form und Materie konstituierten Dingen die Materie, bei den materielosen Geschöpfen (Engeln), bei denen Wesen (essentia) und Sein (esse) zu unterscheiden sind, das Wesen. Da alle Geschöpfe ihren Seinsakt einem andern verdanken, verweist alles kontingent Wirkliche letztlich auf ein wesenhaft Wirkliches, d.h. auf Gott. Allein Gott besitzt den Grund aller Aktualität in sich selbst und ist daher reiner A. (a. purus).
CS
LIT:
- Aristoteles: Met. V 12; IX 16; XII 67
- Thomas v. A.: De veritate q.11 a.1; S.th.I q.2 a.3c; q.3 a.1c; q.3 a.4
- M. Forschner: Thomas von Aquin, Mnchen 2006. Kp. 3
- R. Heinzmann: Thomas von Aquin, Stuttgart 1994. S. 39 f., 71 f., 210221
- J. de Vries: Grundbegriffe der Scholastik. Darmstadt 1980. S. 1121.