Anschauung
der Akt, in dem ein einzelner Sachverhalt unmittelbar und als ganzer erfasst wird, oder den Inhalt eines Anschauungsaktes, das »Angeschaute«. Vor Kant war A. gleichbedeutend mit Intuition und bezog sich auf das unmittelbare Erfassen einfacher Wissensinhalte und erster Vernunftwahrheiten. Kant ordnet A. der Sinnlichkeit als dem rezeptiven Teil des menschlichen Erkenntnisvermögens zu. Raum und Zeit bilden die beiden transzendentalen Formen der A. Sinnliche A., die als rezeptiv aufgefasst wird, bezieht sich auf das Erfassen von Gegenständen innerhalb der Sinnlichkeit, also durch Gesichtssinn, Gehör, Geruch usw. Als intellektuale A. wird dagegen eine solche bezeichnet, die im Akt des nichtsinnlichen Anschauens zugleich ihren Gegenstand hervorbringt. Intellektuale A. wird zur zentralen Kategorie bei Fichte und Schelling, wo sie für den Akt steht, in dem das Ich im Anschauen seiner selbst entsteht. – A. ist zentrales methodisches Prinzip und Sinnkriterium innerhalb der Phänomenologie Husserls. Als erfüllende A. gilt dort der Akt, in welchem den verschiedenen Bedeutungskomponenten eines Urteils die ihnen entsprechenden A.en zuwachsen. Husserl unterscheidet dabei zwischen stofflichen, d.h. auf Gegenstände und ihre Attribute referierenden und formalen Bedeutungsmomenten, wie Sein, das Ein und das Das usw. Erstere finden ihre Erfüllung in einer sinnlichen A. Für den Akt der Erfüllung der nichtstofflichen, formalen Bedeutungsmomente entwickelt Husserl den Begriff der kategorialen A.
TBL
LIT:
- J. G. Fichte: Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797)
- W. Flach: Zur Prinzipienlehre der Anschauung. Bd. 1. Hamburg 1963
- E. Husserl: Logische Untersuchungen. 2. Bd., II. Teil. 1901/13
- I. Kant: Kritik der reinen Vernunft (1781/87)
- H.-J. Pieper: Anschauung als operativer Begriff: eine Untersuchung zur Grundlegung der transzendentalen Phnomenologie E. Husserls. Hamburg 1993
- F. W. J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus (1800).