Autopoiesis
(gr. autos: selbst; poiein: machen), von dem chilenischen Biologen H. Maturana geprägter Begriff zur Bezeichnung der operativen Geschlossenheit und »Selbsterzeugung« lebender Systeme. Eine Zelle etwa bildet ein autopoietisches System, das auf molekularer Ebene ständig die Bestandteile erzeugt, die es zur Aufrechterhaltung seiner internen Organisation benötigt. Die molekularen Bestandteile sind in einem Netzwerk interagierender Komponenten so eingelassen, dass sie durch ihre Operationen ständig dieses Netzwerk hervorbringen und aufrechterhalten, durch das sie umgekehrt selbst hervorgebracht werden. Autopoietische Systeme haben durch ihre operative Geschlossenheit keinen unmittelbaren Kontakt zu ihrer Umwelt, sondern reagieren stets nur auf Eigenzustände. Diese »Zustandsdeterminiertheit« lässt sich auch am menschlichen Gehirn beobachten. Die Sinnesorgane transformieren Reize in neuronale Aktivitäten, ohne dass sich eindeutige Korrelationen zwischen Außen und Innen aufweisen lassen. Die Transformation verläuft reizunspezifisch: Im Gehirn lassen sich ausschließlich bioelektrische Aktivitätszustände nachweisen, die die äußere Welt nicht abbilden, sondern allein selbstreferentiell konstruieren. – Aus der A.-Theorie ergeben sich erhebliche erkenntnistheoretische Konsquenzen, die etwa im sog. radikalen Konstruktivismus aufgenommen wurden. Danach wird auch das menschliche Bewusstsein als autopoietisches System konzipiert, das allein auf Eigenzustände reagiert und sich seine Welt selbst schafft, weil es unhintergehbar an die eigenen Operationen gebunden ist. Das A.-Konzept strebt damit eine empirisch-naturalistische Rekonstruktion transzendental- und subjektphilosophischer Motive an. – In der Soziologie ist das A.-Konzept v.a. durch N. Luhmann aufgenommen worden, der soziale Systeme als autopoietische Zusammenhänge von Kommunikationen versteht.
AN
LIT:
- E. v. Glasersfeld: Wissen, Sprache und Wirklichkeit. Braunschweig/Wiesbaden 1987
- N. Luhmann: Soziale Systeme. Frankfurt 1984
- H. Maturana: Erkennen. Braunschweig/Wiesbaden 1982.