Homme naturel/ Homme civil
1755 von Rousseau als Begriffspaar geprägt, dem seine Vorstellung vom Menschen zugrundeliegt. Die metaphysische und moralische Konstitution des Menschen basiert demnach auf zwei der Vernunft vorhergehenden Prinzipien: Selbsterhaltung und Mitleid. Letzteres mildert seinen amour de soi (Selbstliebe), der als natürliches Gefühl zur Erhaltung des Individuums und der Art beiträgt, er zeitigt Tugend und Menschlichkeit. Gegenüber dem Tier zeichnet sich der körperlich unterlegene Mensch (Anthropologie) durch seinen eigenen Willen, Freiheit und die Fähigkeit zur Perfektibilität und Vernunft aus. Durch Abstraktion vom depravierten bürgerlichen und zivilisierten Menschen (h.c.) gelangt Rousseau zur hypothetischen Konstruktion des natürlichen Menschen (h.n.). Hinsichtlich der physischen Natur unterscheiden sich beide kaum voneinander, doch ist der h. n. durch die zur Selbsterhaltung notwendige Benutzung seines Körpers gewandter und stärker. Im Gegensatz zum h.c. kann der h.n. seine wenigen natürlichen Bedürfnisse allein befriedigen; er ist autark und lebt solitär in Einheit mit sich und der Natur. Hinsichtlich der metaphysischen und moralischen Konstitution unterscheiden sich h.n. und h.c. Charakteristisch für den h. c. ist der in der Gesellschaft entstandene amour propre (Selbstsucht), aus dem der Vergleich mit anderen Menschen, übertriebene Wertschätzung seiner selbst und Ehrgeiz resultieren (komparative Existenz). In der Gesellschaft lebt er abhängig von der Meinung anderer und von ihrer Hilfe bei seiner Bedürfnisbefriedigung. Er verfügt über Sprache und Vernunft sowie über moralische Freiheit. Die Einheit mit der Natur kann er nur durch Reflexion wiederholen, nicht aber zum Naturzustand zurückkehren.
DGR