Idealismus
erkenntnistheoretische Grundhaltung, die einer geistigen Seinsart, dem Denken oder Ideen, den Vorrang einräumt gegenüber der materiellen oder sinnlich erfahrbaren Beschaffenheit der Wirklichkeit. Der I. tritt erstmals ausgeprägt mit der Ideenlehre Platons auf und gilt als die maßgebliche Denkhaltung (metaphysischer I.) in den neuplatonistischen Philosophien des MA. von Augustin bis ins 12. Jh. Mit dem Nominalismus formiert sich dann eine Gegenbewegung, die die Realität der Gattungsbegriffe (z.B. Menschheit) bestreitet und dem Einzelding (z.B. Mensch) den Vorrang einräumt. Wichtigster Vertreter des neuzeitlichen I. (erkenntnistheoretischer I.) ist Descartes. Seine Überzeugung, dass die geistige Seinsweise leichter zu erkennen sei (»cogito ergo sum«, »ich denke, also bin ich«) als die körperliche, wirkt entscheidend auf die Subjektphilosophie des Deutschen I. Das denkende Ich, das zugleich der Sitz der Vernunft ist, wird zum ersten Prinzip der Philosophie erklärt, alles andere sinkt zur bloßen Funktion des Ich, zum »Nicht-Ich« (Fichte) herab. Dieses Prinzip erstreckt sich auf den gesamten Seinsbereich, und die äußere Welt erscheint nur deshalb erkennbar, weil auch sie vernunftförmig ist. Während aber bei Kant und seinen Nachfolgern der I. vorwiegend dadurch gerechtfertigt ist (mit Ausnahme von Hegels objektivem I.), dass die Eigenleistung des Denkens beim Zustandekommen einer jeden Erkenntnis im Vordergrund steht, geht der I. Berkeleys davon aus, dass es überhaupt keine bewusstseinsunabhängige Materie gibt. Stärkste Gegenbewegung zum I. ist der Materialismus, besonders seit Marx. Das erkenntnistheoretische Grundproblem des I. besteht darin, dass er ausgehend vom Denken, vom Ich oder von der Vernunft eine zweite Seinsart erklären muss, die dieser untergeordnet bleibe. Andernfalls schlägt der Idealismus um in Solipsismus, der außer den Bewusstseinsinhalten keine andere Seinsart mehr gelten lässt.
KJG
LIT:
- V. Hsle: Philosophiegeschichte und objektiver Idealismus. Mnchen 1996
- K. Lwith: Von Hegel zu Nietzsche. Hamburg 1981.