Konservatismus
wirkungsmächtige Ideologie moderner, industrieller Gesellschaften. Die Etikettierung als konservativ verweist also auf politische und soziale Interaktionsräume, wobei allerdings die Fundierung des K. in Grundannahmen einer anthropologischen Abneigung gegen Veränderungen bestehen kann. Eine Systematisierung von konservativen Inhalten ist nur schwer möglich, weil sich der Begriff des K. seit seinem ersten semantischen Auftreten zu Beginn des 19. Jh. nicht nur verändert, sondern in vielfältige Untervokabularien ausdifferenziert hat (wie Sozialismus und Liberalismus). Weiter reicht die Betrachtung der historisch-semantischen Kontexte konservativer Artikulationen. So verweist die Rede vom K. auf soziale und politische Dynamisierungsphasen (Krisenwahrnehmung) und auf ein Beharrungsvermögen von Institutionen und Eliten, neuen Fragen mit alten Antworten begegnen zu wollen. In diesem Verständnis wäre K. die Legitimation gegebener Herrschaftsverhältnisse und Teil jeder gesellschaftlichen und politischen Bewegung, Partei, Idee (also auch revolutionärer, systemtranszendierender Anstrengungen). In konservativen Selbstbeschreibungen dominieren Verlustartikulationen, wobei sich die beklagten Verluste auf überkommene Gesellschaftsstrukturen (Hierarchien), Einbußen an sozialer Ungleichheit (Kampfansage von Teilen des K. an Sozialismus und Liberalismus) und politischer Steuerung (Führung), Untergang von Eliten, Aufgabe bestimmter Normen beziehen. Gerade an der Bewahrung von Werten oder Strukturen macht sich in der neueren Auseinandersetzung über K. die Unterscheidung von Wert.-K. und Struktur.-K. fest. Dabei wird einem technokratischen K., der sich selbst als v.a. technologisch orientierte Fortschrittsbewegung versteht, der Vorwurf gemacht, zur ökologischen, lebensweltlichen Bewahrung bestehender Ordnungen gar nicht mehr in der Lage zu sein. Der technokratische K. wiederum weist darauf hin, dass in der Entfaltung moderner technischer Sachnotwendigkeiten eine stabile, unstreitige Ordnung gegeben sei. Eine wissenschaftliche Theorie des K. steht noch aus.
TN
LIT:
- M. Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland. Frankfurt 31983
- H. G. Schumann: Konservatismus. Gtersloh 1974.