Masse
(1) Der physikalische M.-Begriff geht zurück auf die neuplatonische Opposition Kraft vs. M., die auf der Vorstellung eines Gegensatzes von aktivem Geist und inaktiver Materie beruht. Im Anschluss an Galilei und Kepler prägt Newton M. als spezifisch physikalischen Begriff. Konstitutiv für den M.-Begriff ist die Annahme eines Trägheitsprinzips der Körper. Neben Länge L und Zeit T ist der Begriff M. eine der drei Grundgrößen der klassischen Physik. Nach der speziellen Relativitätstheorie sind weder M. noch L und T invariante Größen, sondern die M. einer physikalischen Entität, etwa eines Teilchens, ist abhängig vom Bewegungszustand innerhalb des Bezugssystems. Die Relativitätstheorie postuliert die Äquivalenz von Masse und Energie. Die allgemeine Relativitätstheorie thematisiert den M.-Begriff im Hinblick auf den doppelten Aspekt von M. als träge M. sowie als schwere M. Die träge Masse wird bestimmt als der Koeffizient der Reaktion auf eine jeweilige Kraft. (2) Als politisch-soziologischer Begriff tritt M. als »masse du peuple« in der Frz. Revolution auf und wird von Beginn an in gesellschaftskritischer Bedeutung gebraucht. In der Folgezeit kennzeichnet M. die politische und ökonomische Schwäche großer Bevölkerungsteile und ist daher, besonders bei Marx und Engels, stets mit der Vorstellung sozialer Desintegration verbunden. Als Begründer der Massen-Psychologie gilt G. Le Bon (Psychologie des foules, Paris 1895). Im Rückgriff auf L.B. und W. MacDougall (The Group Mind, Cambridge 1920) erscheint M., sozialpolitisch neutral verwandt, im dt. Sprachraum erstmals bei Freud als spezifisch sozialpsychologischer Terminus (Massenpsychologie und Ich-Analyse, 1921).
JH
LIT:
- zu (1) M. Jammer: Der Begriff der Masse in der Physik. Darmstadt 1964
- P. Janich: Ist Masse ein theoretischer Begriff? in: Zs. fr allgemeine Wissenschaftstheorie 8 (1977). S. 302314
- J. Pfarr (Hg.): Protophysik und Relativittstheorie. Mannheim u.a. 1981
- zu (2) J. Habermas: Strukturwandel der ffentlichkeit. Frankfurt 1962.