Writing Culture
Der Begriff stammt aus der Selbstkritik der Anthropologie in den 80er Jahren an ihrer Methode der Feldforschung (Dort-Sein) und deren Textualisierung (Hier-Schreiben). Die Visualität als Grundlage jeder Repräsentation des Anderen und damit die ganze monologische Rhetorik der Kulturanthropologie wurde in Frage gestellt, die die Rolle der Informanten marginalisierte und sich autoritär mit Hilfe der alten romantischen Forderung, eine längere Zeit an einem exotischen Ort mit Eingeborenen das Leben zu teilen, behauptete. Im Zusammenhang mit der interpretativen Dimension eines hermeneutischen Ansatzes im Umgang mit den Feldforschungsdaten ergab sich die Frage nach den Gattungen der Textualisierungsprodukte als Kritik am ethnographischen Realismus, der meinte, die Wirklichkeit und Lebensweise einer anderen Welt holistisch und objektiv repräsentieren zu können. Die Epistemologie der Feldforschung forderte die Wende von der teilnehmenden Beobachtung zu einer dialogischen Begegnung, wobei die vernachlässigten Probleme des historischen Kontextes, der sozialen Ungleichheiten und Machtrelationen an Bedeutung gewannen. Damit wurde auch eine andere Rhetorik erforderlich, die keinen Anspruch mehr auf objektive Wahrheiten und große Theorien stellt, die in ihrem Zwang nach Affirmation universeller Werte alle Differenzen auf die für weitere Vergleiche erforderlichen Allgemeinbegriffe reduzieren. Wahrheiten sind partielle geworden, womit nicht ein neuer Relativismus konstruiert wird, sondern gerade dessen weitere Dekonstruktion mit der Absicht, die einzelnen kulturellen Wirklichkeitsinterpretationen mit ihren Auswirkungen auf das soziale Handeln zu erläutern. In diesem Sinn sind auch die anthropologischen Texte Fiktion. In den Textualisierungsprozessen der Feldforschungserfahrungen sehen die Autoren von Writing Culture die Möglichkeit der Entwicklung einer »Polyphonie der Stimmen«, in der die Informanten als Ko-Autoren der ethnographischen Texte erscheinen. Damit kam es zur literarischen Wende in der Anthropologie. Beschreibung, dichte/dünne.
SZ
LIT:
- J. Clifford/G. E. Marcus (Hg.): Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley 1986
- J. Clifford: The Predicament of Culture. Twentieth-Century Ethnography, Literature, and Art. Harvard 1988
- P. Atkinson: The Ethnographic Imagination. Textual Construction of Reality. London 1990.