Animismus
von E. B. Tylor aufgestellte, evolutionistisch geprägte Theorie, derzufolge der Ursprung der Religion im Glauben an die Beseeltheit aller Dinge (Menschen, Tiere, Naturerscheinungen) liegt. Diese Vorstellung sei entstanden aus Traumerfahrungen, in denen der Mensch sich selbst unkörperlich erlebt, indem er sich z.B. an einem weit entfernten Ort sieht, oder in denen bereits Verstorbene auftreten können. In Verbindung mit der Erfahrung des Unterschiedes zwischen dem belebten und dem toten Körper bildet sich so der Glaube an eine eigenständige, unkörperliche Seele heraus, die analog auf andere Lebewesen und Naturerscheinungen generell übertragen wird. Entwicklungsstufen führen von der Naturgeister- und Ahnenverehrung über den Polytheismus hin zum Monotheismus. Animistische Vorstellungen sieht Tylor auch in verschiedenen philosophischen Theorien (z.B. Leib-Seele-Problem) wirksam. – Ebenfalls von einem evolutionistischen Ansatz gehen Vertreter eines Prä-Animismus aus, die sich auf eine noch ursprünglichere Erfahrung als die von Seele und Geist beziehen. So der Animatismus (R. R. Marett), womit die Vorstellung bezeichnet wird, alle Dinge für belebt anzusehen, ohne schon die Idee persönlicher Einzelseelen auszubilden. Außergewöhnliche Fähigkeiten oder Erscheinungen werden auf die Existenz einer unpersönlichen, übertragbaren Kraft zurückgeführt, wofür van Gennep den Begriff Dynamismus geprägt hat. Eine Gegenposition vertritt W. Schmid, der den auf einer »Uroffenbarung« beruhenden Glauben an ein höchstes Wesen als älteste Religion annimmt (Urmonotheismus). – Die religionsevolutionistischen Versuche der zweiten Hälfte des 19 Jh., eine »Urform« religiösen Bewusstseins aufzufinden, gelten heute als nicht haltbar. Als rein beschreibender Begriff für bestimmte religiöse Vorstellungen findet die Bezeichnung »A.« jedoch noch Verwendung.
FPB
LIT:
- F.-P. Burkard: Anthropologie der Religion. Dettelbach 2005. S. 1336
- Ad. E. Jensen: Mythos und Kult bei den Naturvlkern. Wiesbaden 1951
- N. Soederblom: Der Animismus (1916). In: C. A. Schmitz (Hg.): Religionsethnologie. Frankfurt 1964. S. 929
- E. B. Tylor: Primitive Culture. London 1871 (dt. Die Anfnge der Cultur. Leipzig 1873).
Animismus
Piaget beschreibt mit diesem Begriff eine Stufe des Weltverständnisses, deren charakteristisches Merkmal darin besteht, alle Körper als belebte und aus Einsicht tätige Entitäten vorzustellen. Er unterscheidet zwischen dem »diffusen A.«, also der generellen Tendenz des Kindes, die Dinge als bewusst agierende Lebewesen aufzufassen, und dem »systematischen A.«, der die expliziten animistischen Überzeugungen des Individuums umfasst. Die Ursache für das Auftreten des A. sieht Piaget in dem Faktum der Nichtdifferenzierung zwischen Ich und Welt, die das Kind zu dem Glauben an ein universales Lebenskontinuum veranlasst, das alle Entitäten einschließt, deren Bewegungen zudem als auf das Wohl der Menschen bezogen vorgestellt werden (frühkindlicher Egozentrismus).
CZ
LIT:
- J. Piaget: Das Weltbild des Kindes. Mnchen 1988.