Finitismus
(1) Bezeichnung für eine Position, die für die Erkenntnis unbeschränkte All-Aussagen mit der Begründung ausschließt, dass sich solche Sätze nicht als Wahrheitsfunktion singulärer Sätze fassen lassen. Die Wahrheitsbedingung einer allgemeinen Aussage ist als eine Funktion der Wahrheit aller einzelnen Aussagen, die unter diese allgemeine Aussage fallen und die durch eine direkte Wahrheitsbedingung bestimmt werden, anzusehen. Eine allgemeine Aussage muss deshalb als Konjunktion von einfachen Aussagen formuliert werden können. Dies ist für unbeschränkte All-Aussagen nicht gegeben, d.h. sie können nicht durch eine endliche Konjunktion von singulären Sätzen ersetzt werden, weil man ihre einzelnen Fälle nicht kennt und darum nicht einzeln aufzählen und prüfen kann. Zu den philosophischen Vertretern des F. zählen Wittgenstein, Ramsey, Schlick und Kaufmann.
PP
(2) Betonung des Endlichen bei gleichzeitiger Ablehnung oder Nachordnung des Unendlichen, meist in Verbindung mit konstruktivistischen Auffassungen. Namhafte Vertreter des F. waren Gauß und L. Kronecker. Seit Hilbert verbindet sich die Bezeichnung F. v.a. mit dem von diesem als Reaktion auf die Grundlagenkrise der Mathematik vertretenen Formalismus. Die gesamte Mathematik sollte dabei ihre Begründung aus ›finiten‹ Methoden erfahren, worunter solche verstanden wurden, die sich aus Manipulationen endlicher Zeichenreihen ergaben. Voraussetzung für die erfolgreiche Beschränkung auf finite Methoden ist somit eine strenge Formalisierung der Mathematik, verbunden etwa mit einer rein axiomatischen Darstellung mathematischer Theorien, wie sie von Hilbert selbst für die Geometrie gegeben wurde. Die Undurchführbarkeit des Hilbert’schen Programms in seiner ursprünglichen Strenge wurde mit der Arbeit Gödels über die sog. Unvollständigkeit der Arithmetik (1931) deutlich. – Der von L. Brouwer vorgeschlagene Intuitionismus kann ebenfalls als finitistische Position verstanden werden.
UM
LIT:
- D. Hilbert: ber das Unendliche. In: Math. Annalen 95 (1925). S. 161190.