Geschichtlichkeit
bezeichnet ursprünglich die Historizität einer Person oder eines Ereignisses im Sinne von »historisch beglaubigt«. Davon unabhängig ist die philosophische, auf Dilthey und Yorck von Wartenburg zurückgehende Verwendung des Ausdrucks, in der »G.« für den Grundzug menschlicher Existenz im Unterschied zum bloß »ontischen« – gegenständlichen – Sein der Natur steht.
In einem philosophisch ambitionierten Kontext findet sich »G.« erstmals bei Hegel, der den Ursprung der Philosophie bei den Griechen auf deren »freie, schöne G., daß, was sie sind, auch als Mnemosyne bei ihnen ist«, zurückführt; an anderer Stelle bedeutet G. die konkrete Form der Explikation des Geistes in der historischen Wirklichkeit. Abgesehen von solch isolierten Vorkommnissen erfährt der Begriff G. seine terminologische Prägung v.a. mit dem Briefwechsel zwischen Dilthey und Yorck in den Jahren 1877–1899. G. als »Lebendigkeit« und »Innerlichkeit« ist für beide charakterisiert durch den Gegensatz zum äußerlichen Sein der Natur. »Daß die gesamte psychophysische Gegebenheit nicht nur ist, sondern lebt, ist der Keimpunkt der G. Und eine Selbstbesinnung, welche nicht auf ein abstraktes Ich, sondern auf die Fülle meines Selbstes gerichtet ist, wird mich historisch bestimmt finden, wie die Physik mich kosmisch bestimmt findet. Gerade so wie Natur bin ich Geschichte.« Yorcks Bestimmung von G., nach der der Mensch selbst »Geschichte ist« übernimmt Heidegger einerseits, wenn er G. als die »Seinsverfassung des ›Geschehens‹ des Daseins« definiert, »auf dessen Grunde« erst »so etwas wie ›Weltgeschichte‹ möglich« sei. Gleichzeitig radikalisiert Heideggers Existenzialanalytik des Daseins den Gedanken der G., indem sie ihn aus dem Kontrast zwischen Natur und Leben herauslöst, der die »ontologische Problematik in einer grundsätzlichen Verengung« festhalte. Dieser Erweiterung des Begriffs folgen nicht nur so unterschiedliche Autoren wie Marcuse und Jaspers. Nach einer Phase inflationären und z.T. undifferenzierten Gebrauchs, in der »G.« zum Modewort avanciert, greift die philosophische Hermeneutik Gadamers wieder auf den ursprünglichen Diskussionszusammenhang Diltheys und Yorcks zurück, um die »G. des Verstehens« in eine an Heidegger orientierte »ontologische Wendung der Hermeneutik« zu integrieren.
DK
LIT:
- G. Bauer: Geschichtlichkeit. Wege und Irrwege eines Begriffs. Berlin 1963
- H. G. Gadamer: Artikel Geschichtlichkeit. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart (31957)
- L. v. Renthe-Fink: Geschichtlichkeit. Ihr terminologischer Ursprung bei Hegel, Haym, Dilthey und Yorck. Gttingen 21968.