Kabbala
(»Tradition«; von hebr. kbl: gegenüberstehen, entgegennehmen), bezeichnet die besonders aus der jüdischen Gnosis und der Merkabah-Mystik hervorgegangene mystisch-esoterische Hauptströmung des Judentums, die als religionsgeschichtliche Erscheinung in Südfrankreich und Nordspanien im 13. Jh. begann (A. Abulafia, J. Gikatila, M. de Leon u.a.), und deren Lehren sich später über den Messianismus von I. Luria (16. Jh.), S. Zewi (17. Jh.), J. Frank (18. Jh.) und den Chassidismus (seit dem 18. Jh.) bis heute fortsetzen. Die K. versucht auf der Basis eines neuplatonischen Weltbildes, aber mit traditionellen Mitteln (Bibel, Talmud, Midrasch), die Beziehung zwischen der absoluten transzendenten Gottheit (En-sof) und der Schöpfung zu bestimmen. Dabei herrscht die aus der mystischen Tradition übernommene Vorstellung vor, dass Gott selbst (als das Über-Sein) das Nichts sei. Die Schöpfung aus dem Nichts besteht im Hervorgehen der »Weisheit«, d.h. der Zweiten Sephirah, aus der ersten der zehn Sephiroth, welche die verborgene Wirklichkeit Gottes, das Ur-Nichts, ist. Die göttliche »Weisheit« enthält die Urbilder alles geschöpflichen Seins in Gott; in ihr ist Sein zuerst angelegt. – Für die praktische Seite der K. ist primär die Interpretation der Weltgeschichte mit Hilfe der beiden Grundbegriffe »Exil« (Verbannung, Sünde, Bruch, dämonische Verstrickung) und »Tikkun« (Wiederherstellung, Erlösung) relevant. Gott und das jüdische Volk sind im rituellen, spirituellen und ethischen Zusammenklang Subjekt wie auch Objekt des Tikkun. Die zehn Sephiroth stellen das metaphysische Raster für das Ziel einer messianischen Zeit als göttlich-israelitisch-geschöpflicher Endeinheit dar, die eine essentielle Bereicherung der ursprünglich von Gott gewollten Schöpfungsabsichten sein wird. Von diesem Denken her sind der akute Messianismus mit seiner Erwartung des Endes der Geschichte (1300, 1503, 1666 u.a.) und die Vorstellungen vom Hinabstieg in den Bereich des Bösen, um den Tikkun dort zu beginnen (Übertritt des Pseudo-Messias S. Zewi zum Islam und J. Franks zum Katholizismus), zu verstehen.
RS
LIT:
- A. C. Herrera: Das Buch Zohar haamajim. Frankfurt 1974
- A. Safran: Die Kabbala. Bern/Mnchen 1966
- G. Scholem: ber einige Grundbegriffe des Judentums. Frankfurt 1970
- Ders.: Ursprung und Anfnge der Kabbala. Berlin 1962
- Ders.: Zur Kabbala und ihrer Symbolik. Zrich 1989.