Melancholie
bezeichnet einen durch Schwermut und Tiefsinn, dem Verlust an Selbstvertrauen und dem Mangel an Tatkraft geprägten seelischen Zustand. Der Begriff der M. ist abgeleitet von griech. melancholía (Schwarzgalligkeit), mit dem die antike Medizin seit dem 5. Jh. v. Chr. einen physiologischen Zustand beschreibt, der durch ein Übermaß an »schwarzer Galle« gekennzeichnet sei. Diese Diagnose gehört in den Zusammenhang der hippokratischen Humoralpathologie, die als Ursache von Krankheiten ein falsches Verhältnis der vier Säfte des menschlichen Körpers (lat. humores) ansieht, zu denen neben schwarzer Galle (griech. melaina chole), die gelbe Galle (griech. chole), Blut (griech. haima, lat. sanguis) und Schleim (griech. phlegma) gehören. Von dem griechischen Arzt Galen wird diese Auffassung im 2. Jh. in Zusammenhang mit der Lehre von den vier Temperamenten gebracht, die nicht mehr bloß Krisen, sondern grundsätzliche Konstitutionen beschreiben: der lebhafte Sanguiniker, der aufbrausende Choleriker, der schwerfällige Phlegmatiker und der trübsinnige Melancholiker; die Spätantike ordnet der M. als Lebensalter die Reife, als Jahreszeit den Herbst, als Element die Erde, als Qualitäten Kälte und Trockenheit sowie (seit dem MA.) als Planet den Saturn zu. Die M. erfährt aber auch bereits bei Theophrast (im 3. Jh. v. Chr.) eine nachhaltige Aufwertung, wenn er behauptet, alle genialen Politiker, Poeten oder Philosophen seien Melancholiker gewesen; M. habe als Manie (Enthusiasmus) oder Depression einerseits und als Voraussetzung außergewöhnlicher kreativer oder intellektueller Leistungen andererseits eine ambivalente Erscheinung. Diese Einschätzung der M. ist auch in der Neuzeit wirksam geblieben, während das christliche MA. die M. moralisch verwirft und den morbus melancholicus zur Todsünde der Trägheit (lat. acedia) erklärt; später wird die M. allenfalls noch mit Hypochondrie in Verbindung gebracht. Die bekannteste Darstellung der M. ist Dürers Melencolia I (1514), zum bedeutendsten Werk der neuzeitlichen M.-Reflexion wird Robert Burtons Anatomy of Melancholy (1621). Kant betrachtet M. als eine besondere Empfänglichkeit für das Erhabene, angesichts dessen das Subjekt in »negativer Lust« seiner realen Ohnmacht innewird. Freud definiert M. im Unterschied zur Trauer als »einen dem Bewußtsein entzogenen Objektverlust«, durch den nicht die Welt, sondern das Ich als entleert empfunden werde.
BKO
LIT:
- R. Klibansky/E. Panofsky/F. Saxl: Saturn und Melancholie. Frankfurt 1990
- R. Lamprecht: Der Geist der Melancholie. Mnchen 1996
- H. Tellenbach: Melancholie. Berlin 1961.