Werturteilsstreit
jene Auseinandersetzung, die auf der Wiener Tagung 1909 des »Vereins für Sozialpolitik« ausgetragen wurde. Der Streit entzündete sich zunächst an Äußerungen des Nationalökonomen E. v. Philippovich, der in seinem Tagungsvortrag »Das Wesen der volkswirtschaftlichen Produktivität« den Volkswohlstand als obersten Wert definierte. M. Weber, W. Sombart und G. v. Ottlilienfeld kritisierten vehement die Unbrauchbarkeit dieses Begriffes, weil hierbei keine deutliche Trennung zwischen Tatsachenfeststellung und Tatsachenbewertung festzustellen ist. Der »rechte Flügel« des Vereins (insb. v. Philippovich, Wagner, Spann, v. Wiese u. a.) betonte dagegen, dass die Aufgabe des »Vereins für Sozialpolitik« darin bestehen müsste, Stellungnahmen zu sozialpolitischen Themen abzugeben. Bekanntlich hat Weber das Postulat der Wertfreiheit generell auf wissenschaftliche Tätigkeit erweitert und empirische Soziologie als wertfreie Wissenschaft verstanden, auch damit sie sich im Lehrbetrieb etablieren könne. Auf zwei weiteren Tagungen (1912 und 1914) des »Vereins für Sozialpolitik« wurden nochmals Positionen zur Wertfreiheit artikuliert. Ein methodologisches Einverständnis kam jedoch auch hier nicht zustande. Der ganze Streit wurde in diesen Jahren ebenso in der »Deutschen Gesellschaft für Soziologie« geführt, an deren Gründung 1909 Weber entscheidenden Anteil hatte. Nachdem Weber sich auch dort nicht mit seinem Postulat der Wertfreiheit durchsetzen konnte, kehrte er der »Gesellschaft« 1913 enttäuscht den Rücken.
RP
LIT:
- H. Albert/E. Topitsch (Hg.): Werturteilsstreit. Darmstadt 1979
- H. Keuth: Wissenschaft und Werturteil. Zu Werturteilsdiskussion und Positivismusstreit. Tbingen 1989.