Erscheinung
(griech. phainomenon), in der griech. Philosophie dasjenige, was uns erkenntnismäßig zuerst gegeben ist. Nach Parmenides ist dasjenige, was uns erscheint, veränderlich und somit letztlich Illusion. Demgegenüber schränkt Protagoras die Wirklichkeit auf das Wahrgenommene bzw. auf die E. ein. Platon, der den Relativismus der Sophisten ablehnt, unterscheidet zwischen der E. als dem nur uneigentlich Seienden und der Wirklichkeit bzw. Wahrheit. Ausgehend von der E. beginnt der Aufstieg zu den Ideen. Auch die Philosophie der Neuzeit versteht unter E. das der sinnlichen Erfahrung unmittelbar Gegebene. Allerdings wird E. nicht mehr als das uneigentlich Seiende oder als bloßer Schein verstanden. Nach Leibniz kann nur in Bezug auf die sog. »phenomena imaginaria« als von etwas Scheinbarem gesprochen werden, da diese E.en ihren Ursprung ausschließlich im Inneren des wahrnehmenden Subjekts haben. Demgegenüber gründen die »phenomena realia« oder »bene fundata« auf den realen Zuständen der wahrgenommenen Substanzen bzw. Monaden. Auch für Kant hat die E. zwar nicht die absolute Realität des Ding an sich, doch ist sie das einzige, was uns als objektiv bestimmbare Realität gegeben werden kann. Die E. ist deshalb scharf vom bloßen Schein zu unterscheiden (KrV, B 69). Während es für Kant keine E. geben kann ohne etwas, was erscheint, lehnt Husserl in seiner Phänomenologie jeden Bezug auf eine hinter den E.en stehende Wirklichkeit an sich ab. Die E.en oder Phänomene bilden für Husserl als unmittelbar gegebene reine Bewusstseinsinhalte den eigentlichen Gegenstand jeder philosophischen Untersuchung. In der Ablehnung einer den E.en zugrundeliegenden Wirklichkeit geht Sartre noch über Husserl hinaus. Mit der von ihm geforderten Gleichsetzung von Sein und Erscheinen (l’être est apparaître) erhält die E. jenen ontologischen Status, welcher zuvor der hinter der E. angenommenen Wirklichkeit an sich zukam.
JQ
LIT:
- E. Husserl: Ideen zu einer reinen Phnomenologie und phnomenologischen Philosophie. Hua. III/1. ND Hamburg 1992
- G. W. Leibniz: De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis
- I. Kant: Kritik der reinen Vernunft
- Platon: Der Staat. 509c ff
- J.-P. Sartre: Ltre et le nant. Paris 1943 (dt. Das Sein und das Nichts. Reinbek 1962).