Jainismus
neben Hinduismus und Buddhismus die drittgrößte Religion des indischen Subkontinents, im Westen relativ unbekannt. Der historische Gründer der Lehre, Mahāvīra oder auch Jina, »der Sieger«, genannt (beides Ehrentitel nach der Erleuchtung), der ungefähr zeitgleich mit dem historischen Buddha lebte, führt mehrere Vorgänger an, von denen der letzte, Pārśva, vielleicht ebenfalls historisch war. Der J. ist wie der Buddhismus eine Heilslehre, die versucht, dem Menschen einen Weg aus dem unendlichen Kreislauf der Wiedergeburten aufzuzeigen (vgl. den Titel Tīrthāṅkara »Weg- oder Furtbereiter« für Mahāvīra und seine Vorgänger). Komplette philosophische Systeme sind in den Werken von Kundakunda und Umāsvāti dargestellt. Im Unterschied zum Buddhismus, der die Existenz einer Seele ganz leugnet, kennt der J. unendlich vielen Seelen (Jīva), die ewig sind und denen von Natur aus Erkenntnis und Vollkommenheit eigen ist. Diesen steht das Unbelebte (ajīva) gegenüber. Eigenartig ist die Karma-Lehre: werden die Seelen (geistig) tätig, so strömt Karma in sie ein. Dieses Karma bindet (bandha) die Seelen an den Geburtenkreislauf (Saṃsāra). Nach jainistischer Erlösungslehre muss man also bedacht sein, das Einströmen (āśrava) von neuem Karma zu verhindern (saṃvara) und das alte zu tilgen (nirjarā); Ersteres erreicht man durch die Beachtung der sittlichen Vorschriften, Letzteres durch asketische Übungen (Tapas). Ist eine Seele erlöst (Mokṣa), so steigt sie vollkommen (kevala) zum höchsten Punkt der Welt und verharrt dort in ewiger Seligkeit. Die sieben Grundwahrheiten des J. (tattvāni) sind bei Umāsvāti: Jīva, ajīva, āśrava, bandha, saṃvāra, nirjarā, Mokṣa. Die Vielheit der Seelen, die mit unterschiedlichen Eigenschaften und auf unterschiedlichen Stufen in den Grundgegebenheiten Raum (ākāśa), Materie (pudgala), Bewegung und Ruhe (Dharma, adharma) und der Zeit (kāla) tätig sind, führte zu einer Analyse und Bestimmung der Verhältnisse all dieser zueinander. Da die Dinge mannigfaltige Relationen beinhalten, ist jede Beschreibung und Betrachtung relativ. Diese »Relativitätstheorie« des J. (syādvāda) war eine scharfe Waffe in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern, da jede absolute Behauptung damit widerlegt werden konnte.
MD
LIT:
- E. Frauwallner: Geschichte der indischen Philosophie. Bd. I. Salzburg 1953. S. 247 ff. und Bd. II. Salzburg 1956. S. 251 ff
- H. v. Glasenapp. Der Jainismus. Berlin 1925
- W. Schubring: Die Lehre der Jainas. Berlin 1935
- Ders.: In: Die Religionen Indiens. Bd. III. Stuttgart 1964. S. 217 ff.