Naturalismus
philosophische Position des 20. Jh., wonach verlässliche Erkenntnisse darüber, was existiert und wie die Welt beschaffen ist, nur auf naturwissenschaftlichem Wege zu gewinnen sind. Gründe für den N. sind die Erfolge der modernen Naturwissenschaften und ein Interesse an einem einheitlichen Weltbild. Der N. ist eine zeitgemäße Version des Materialismus und steht dem Physikalismus sehr nahe, ist allerdings auch mit einem naturwissenschaftlichen Pluralismus vereinbar. – Man kann zwischen einer ontologischen, einer semantischen und einer methodologischen These des N. unterscheiden. (1) Die ontologische These (auch Identitätstheorie) besagt, dass nur natürliche, d.h. naturwissenschaftlich akzeptable, Entitäten existieren. Sie beschränkt sich entweder – in der schwächeren Version (Materialismus) – auf Einzeldinge, oder sie bezieht sich – in der stärkeren Version – auch auf Eigenschaften. (2) Die semantische These (auch Reduktionismus) besagt, dass nur Beschreibungen, die sich auf ein naturwissenschaftliches Vokabular reduzieren lassen, wahr sein können. Je nachdem, ob die Reduktion durch empirische Forschung oder durch logische Analyse der Bedeutung erreicht werden soll, spricht man von einem empirischen oder einem logischen Reduktionismus. (3) Die methodologische These (auch Szientismus) besagt, dass nur naturwissenschaftliche Methoden zuverlässig sind. Sie leugnet, dass es eigenständige philosophische oder geisteswissenschaftliche Methoden der Erkenntnisgewinnung gibt. – Es sind unterschiedliche Kombinationen dieser Thesen möglich und auch historisch vertreten worden. So war z.B. Carnap ein Anhänger eines logischen Reduktionismus, der heute nicht mehr akzeptabel erscheint. Der amerik. N. (Dewey) hat dagegen den Szientismus in den Mittelpunkt gestellt. Ein schwacher ontologischer N. ist auch ohne Reduktionismus und Szientismus möglich. In der analytischen Philosophie ist gegenwärtig jedoch der reduktionistische und szientistische N. am verbreitetsten. Danach sind traditionelle Gegenstände der Philosophie sowie lebensweltliche Phänomene entweder mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden reduktionistisch erklärbar, oder sie werden als nicht-existent eliminiert. – Anwendungsbereiche naturalistischer Forschungsprogramme sind z.B. Bewusstsein, Intentionalität sowie normative Begriffe der Erkenntnistheorie und Ethik.
TG
LIT:
- P. French u. a. (Hg.): Philosophical Naturalism. Midwest Studies in Philosophy 19 (1994)
- G. Keil: Kritik des Naturalismus. Berlin/New York 1993
- Y. Krikorian (Hg.): Naturalism and the Human Spirit. New York 1944
- D. Papineau: Philosophical Naturalism. Oxford 1993.