Rationalismus
(1) im weiten Sinn jede Position, die (a) erkenntnistheoretisch der Vernunft den Vorrang vor der Erfahrung einräumt, (b) metaphysisch Ursprung und Wesen des Kosmos in einem vernünftigen (und damit erkennbaren) Prinzip ansiedelt, an dem der Mensch Anteil hat, (c) ethisch die rationale Ausweisbarkeit von sittlichen Prinzipien und Normen gegenüber einer intuitiven, emotiven oder dezisionistischen Begründung vertritt. – Historisch betrachtet ist die abendländische Philosophie seit ihren Anfängen in der Antike bis in die Neuzeit hinein überwiegend rationalistisch geprägt. Beispielhaft kann hier die Position Platons stehen: Die Unzuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung ermöglicht keine wahre Erkenntnis, sondern nur eine bloße Meinung. Nur die rein intelligible Schau der apriorischen Ideen, eröffnet eine voraussetzungslose (d.h. von aller Erfahrung unabhängige) Einsicht in das Wesen der Dinge und der in Begriffen gefassten Zusammenhänge. Kosmologisch stellen die Ideen die Formen dar, im Hinblick auf die die Welt gestaltet wurde. In Platons Ethik besteht die sittliche Haltung in der Herrschaft des vernünftigen Seelenteils über den triebhaften.
(2) Als Epochenbegriff bezeichnet R. eine mit Descartes beginnende philosophische Richtung der Aufklärung, die in Opposition zum englischen Empirismus und zum Sensualismus steht. Leitend ist dabei der Gedanke, in der Selbstgewissheit des reinen Denkens ein sicheres Fundament gegen die Angriffe des Skeptizismus zu finden. Bei Descartes ist es der methodische Rückgang auf das Cogito als unbezweifelbare Gewissheit und die Inhalte, die klar und deutlich dem Selbstbewusstsein gegeben sind. Ein Charakteristikum des R. ist auch seine Lehre von den angeborenen, d.h. nicht aus der Erfahrung stammenden Ideen, im Unterschied zur empiristischen These vom Bewusstsein als eines ursprünglich »weißen Blattes«. Als methodisches Ideal dient die Mathematik, die als eine Universalwissenschaft gilt (Leibniz, Mathesis universalis), so dass Spinoza sogar seine Ethik »more geometrico« entwerfen konnte. In seinem Kritizismus hat Kant versucht, R. und Empirismus zu einer Einheit zu bringen.
FPB
LIT:
- P. Kondylis: Die Aufklrung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. Stuttgart 1981
- R. Specht (Hg.): Rationalismus. Stuttgart 1979.