Intellekt
(lat. intellectus), zuweilen mit Verstand, zuweilen mit Vernunft übersetzt, im Gegensatz zur Ratio, der dann die jeweils andere Übersetzung zukommt, das höhere Erkenntnisvermögen. Wenn aber Cusanus zuweilen ratio sagt und intellectus meint, und auch Leibniz Verstand mit Vernunft gleichsetzen kann, aber nicht umgekehrt, dann ist die Verwirrung komplett. Festzuhalten ist aber, dass der I. das dem schlussfolgernden oder diskursiven Denken (ratio) übergeordnete Vermögen darstellt, weshalb Ersteres – im Gegensatz zum Letzteren – auch Gott zugesprochen wird. So bezeichnet Meister Eckhart in seinen Quaestiones parisienses Gott sogar ausdrücklich als intellectus und intelligere und nicht als esse. Bei Leibniz ist der göttliche I. Sitz der ewigen Wahrheiten. Und auch noch Kant spricht Gott einen intellectus archetypus zu, also einen urbildlichen Verstand, der – im Unterschied zum intellectus ectypus des Menschen – ein anschauendes und nicht ein diskursives Denken darstellt (KU § 77). – Was die inhaltliche Bestimmung angeht, so ist der menschliche I. gemeinhin dadurch ausgezeichnet, dass er – im Unterschied zur ratio – von der Sinneserfahrung unabhängig ist; wobei diese Unabhängigkeit aber nicht absolut ist, denn der I. bedarf der Sinne als Anstoß oder Gelegenheitsursache. Die Erkenntnis des I.s ist also eine apriorische Erkenntnis im Sinne eingeborener Ideen, Prinzipien und Wahrheiten, wobei Leibniz innerhalb seiner Monadologie sogar einen absoluten Apriorismus vertritt. Sein berühmtes Wort vom Intellectus ipse (Nouveaux Essais, II 1, § 2) will dagegen nur einen gemäßigten Apriorismus zum Ausdruck bringen. Bei Cusanus wird der I. sogar noch durch eine weitere Erkenntnisstufe überhöht: die sogenannte intellectibilitas (einsichtiges Geistigsein) (De mente, cap. 5).
WS
LIT:
- K. Kremer: Vernunft im abendlndischen Denken: Wandel und Konstanz (Platon-Plotin-Boethius-Cusanus-Leibniz). In: M. Buhr (Hg.): Das geistige Erbe Europas. Neapel 1994. S. 291299
- W. Schler: Leibniz Auffassung des menschlichen Verstandes (intellectus). Berlin 1992.