Lebensphilosophie
(1) Der Begriff steht im 18./19. Jh. vor allem im Gegensatz zu »theoretischer Philosophie« und bezeichnet zum einen eine Philosophie für das praktische Leben, zum anderen eine antirationalistische Haltung, die der Verstandeserkenntnis das unmittelbarere und umfassendere Erleben, Fühlen und den Glauben (J. G. Hamann, F. H. Jacobi) gegenüberstellt. (2) Eine philosophische Richtung Ende des 19. und Anfang des 20. Jh., die sich auf das Leben als umfassendes Grundprinzip beruft. Charakteristisch ist die Betonung einer intuitiven Erkenntnismöglichkeit, die die partielle Verstandeserkenntnis übersteigt, des Werdens vor dem statischen Sein, einer ganzheitlichen Sicht des Menschen gegen eine reduktionistische technisch-wissenschaftliche Perspektive. Für Bergson ist das Leben ein dauernder schöpferischer Prozess, getragen vom »élan vital« (Lebensimpuls), der sich in immer neue Formen ausdifferenziert, in diesen aber auch begrenzt und festlegt. So stehen die Objektivationen des Lebens in Gegensatz zum unbegrenzten, alle festen Formen wieder auflösenden und weitertragenden Fluss des élan vital. Die Teilnahme an ihm ist durch eine Vertiefung des Bewusstseins in der Intuition möglich, die dem instrumentalen, auf praktische Lebensbewältigung ausgerichteten Intellekt gegenübersteht. Für Dilthey besteht die geisteswissenschaftliche Möglichkeit des Erkennens im (Nach-)Erleben des vom Menschen gelebten Lebens. Die geschichtlich-kulturelle Welt ist Objektivation dieses Lebens. Um sie zu verstehen, bedarf es eines Hineinversetzens in den geistigen Lebensvollzug, aus dem sie entstanden ist. G. Simmel knüpft in späterer Zeit an die L. an. Leben strebt für ihn nach Erweiterung und Steigerung, wobei es in aktiver Auseinandersetzung mit seiner Umwelt steht. Dabei bringt es sozial-kulturelle Formen hervor, die sich von dem Schaffensprozess des Lebens ablösen und ihre eigene Gesetzlichkeit und Dynamik entfalten. So steht der Mensch als Schöpfer seiner Welt zugleich in dauerndem Konflikt zu der von ihm nicht mehr beherrschten Eigendynamik der Kultur. Die L. beinhaltet häufig eine kulturkritische Haltung (L. Klages, O. Spengler).
FPB
LIT:
- K. Albert: Lebensphilosophie. Freiburg/Mnchen 1995
- O.F. Bollnow: Die Lebensphilosophie. Berlin/Gttingen/Heidelberg 1958
- H.-J. Lieber: Kulturkritik und Lebensphilosophie. Darmstadt 1974.