Marburger Schule
eine der Hauptrichtungen des sog. Neukantianismus. Ihr Begründer war H. Cohen (1842–1918), der seit 1876 als Nachfolger F. A. Langes (1828–1875) an der Philipps-Universität zu Marburg lehrte. Neben Cohen zählten sein jüngerer Kollege in Marburg, P. Natorp (1854–1924), sowie deren Schüler A. Görland (1869–1952), E. Cassirer (1874–1945) und der junge N. Hartmann (1882–1950) zu den bedeutendsten Vertretern der M.Sch.
Die Marburger Schuldoktrin rekurrierte auf die kritische Philosophie Kants, wobei sie in erster Linie die transzendentale Ästhetik und Analytik als idealistische Theorie der Erfahrung neu zu interpretieren suchte (Cohen: Kants Theorie der Erfahrung. 1871). Diese umstrittene Phase der Kant-Kommentierung wurde jedoch bald durch eigenständige systematische Produktion abgelöst. Grundlage aller folgenden Arbeiten war ein methodischer Idealismus, der den Erkenntnisgegenstand vollständig in den Funktionen des erkennenden Subjekts auflöste. Dieses Konzept wurde für die Begründung sowohl der Logik, der Ethik und der Ästhetik, als auch der Einzelwissenschaften fruchtbar gemacht (Cohen: Logik der reinen Erkenntnis. 1902. – Ethik des reinen Willens. 1904. – Ästhetik des reinen Gefühls 1912. – Natorp: Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften. 1910). Insbesondere der Wissenschaftsbezug ist charakteristisch für die M. Sch. Erkenntnistheorie wird nahezu bedeutungsgleich mit Wissenschaftstheorie, insofern die Wissenschaften als Paradigmen objektiver Erkenntnisleistungen den Gegenstand der transzendentalen Analyse darstellen. Der idealistische Ansatz wurde darüber hinaus als Leitfaden philosophiehistorischer Reflexion genutzt (Natorp: Platos Ideenlehre. 1903). In seiner späten »Systematik« (postum 1958) neigte Natorp zu einer mystischen Überhöhung des Verhältnisses von Denken und Sein. Für die Gegenwartsphilosophie ist insbesondere die kulturphilosophische Ausweitung der transzendentalen Methode auf vorwissenschaftliche Erfahrungsgegenstände durch E. Cassirer bedeutsam geworden (Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. 1924–1929).
KHL
LIT:
- H. Holzhey: Cohen und Natorp. Basel/Stuttgart 1986
- W. Kinkel: H. Cohen. Stuttgart 1924
- P. Natorp: Kant und die Marburger Schule. In: Kant-Studien 17 (1912). S. 193221
- H.-L. Ollig: Der Neukantianismus. Stuttgart 1979.