Moderne
Die Vielfalt des häufig gebrauchten, aber selten definierten Epochenbegriffs der M. spiegelt das Spektrum der Deutungsmuster, die seit dem 19. Jh. zum Verständnis und d.h. hier Selbstverständnis des je neuesten Denkens bzw. der aktuellen ästhetischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Horizont der Neuzeit artikuliert wurden. – Begriffsgeschichtlich auf das Adjektiv modern als rein temporaler Kategorie (»neu«) bis hin ins frühe MA. zurückreichend, bekommt das Wort seine relevante Bedeutung für die erst im 19. Jh. geprägte Substantivierung M. im späten 17. Jh., in der französischen »querelle des anciens et des modernes«, in der die Frage nach der (un)überbietbaren Vorbildlichkeit der Antike diskutiert wurde, die dann im späten 18. Jh. von Schlegel, Schiller u.a. erneut verhandelt wurde. Erst mit Stendhal und Baudelaire löst sich der Epochenbegriff M. endgültig von der Opposition zur Antike, es »kann sich jetzt ein Bewusstsein von Modernität ausbilden, das sich am Ende nur noch von sich selbst abhebt.« (Jauß, S. 51)
Während die Begriffsgeschichte vorrangig im Feld der Theorie künstlerisch-ästhetischer Entwicklung fündig wird, haben sich im 20. Jh. insbesondere die Soziologie und Philosophie des M.-Begriffs bedient: u. a. empirisch für die Epoche der Neuzeit, normativ für die Entwicklung aufklärerischer Subjektphilosophie seit Descartes, gesellschaftsgeschichtlich für technisch-soziale Modernisierungsprozesse, kritisch-ästhetisch für den gesellschaftlich-künstlerischen (Bewusstseins-) Stand des Spätkapitalismus. Zuletzt ist mit dem Begriff der Postmoderne als Nachmoderne im Gegenzug zur oder als Implikation der M. auch der Begriff der M. und die Frage ihrer Geschichtlichkeit erneut diskutiert worden: als letzte Epoche großer leitender Ideen oder Diskurse (z.B. Fortschritt oder Emanzipation). Es stellt sich dann die Frage, ob die M. durch eine plurale und relativistische Postmoderne schon überholt sei (Lyotard) oder ob die normativen Vernunftgehalte der M. als noch unvollendetes Projekt gegen alle widerstreitenden Entwicklungen zu verteidigen und einzulösen seien (Habermas).
PCL
LIT:
- J. Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt 21988
- H. R. Jau: Literarische Tradition und gegenwrtiges Bewusstsein der Modernitt. In: Ders.: Literaturgeschichte als Provokation. Frankfurt 1974. S. 1166
- St. E. Toulmin: Kosmopolis. Frankfurt 21994.