Verstehen,interkulturelles
Die Frage nach der Möglichkeit i.n V.s ist von Beginn an das konstitutive Grundproblem der Ethnologie. Lassen sich fremde Kulturen überhaupt in ihrer Fremdheit verstehen oder handelt es sich letztlich immer nur um ein V. mit den Kategorien der je eigenen Kultur? Die Ethnologie selbst, aber auch andere Kulturwissenschaften (in besonderer Weise die Germanistik) und zunehmend auch die Philosophie reagieren darauf mit der Entwicklung einer interkulturellen Hermeneutik, deren Grundbegriffe »das Fremde« und »das Eigene« sind. Sie ist allerdings erst wenig ausgearbeitet. Kritisiert wird zumeist Gadamers hermeneutische Konzeption der Horizontverschmelzung«. Mit dieser lasse sich das Kulturfremde nur integrieren oder assimilieren, nicht aber in seiner Fremdheit verstehen. Gerade mit Gadamer aber muss V. als ein Prozess rekonstruiert werden, der sich in der Polarität von Vertrautheit und Fremdheit bewegt. Und auch Dilthey wusste bereits: V. ist unmöglich, wenn das Zuverstehende ganz fremd, und unnötig, wenn es gar nicht fremd wäre. Die klassische hermeneutische Tradition bietet demnach durchaus Anschlussmöglichkeiten für eine Theorie des i.n V.s. Auch die Ethnologie bestätigt die Annahme, dass Kulturen zwar ein hohes Maß an Fremdheit aufweisen können, aber keine in sich abgeschlossenen Sinnsysteme sind, zwischen denen eine vollständige Inkommensurabilität bestünde. I. V. bewegt sich daher stets im Spannungsfeld zwischen kulturrelativen und universal-anthropologischen Faktoren, die den Verstehensprozess wechselseitig ermöglichen und fortführen. Die universal-anthropologischen Faktoren (z.B. körpergebundene Ausdrucksformen emotionaler Grundzustände) bedeuten erste Orientierungspunkte, die das i. V. in eine bestimmte Richtung leiten, die im weiteren Prozess aber auch wieder korrigiert werden kann.
NM
LIT:
- F.-P. Burkard: Malinowskis unartige Kinder. Hermeneutische Probleme in der Ethnologie. In: D. Lddeckens (Hg.): Begegnung von Religionen und Kulturen. Dettelbach 1998. S. 3558
- K.-H. Kohl: Ethnologie. Die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Mnchen 1993
- D. Krusche/A. Wierlacher (Hg.): Hermeneutik der Fremde. Mnchen 1990
- J. Loenhoff: Interkulturelle Verstndigung. Zum Problem grenzberschreitender Kommunikation. Opladen 1992
- R. A. Mall: Philosophie im Vergleich der Kulturen. Darmstadt 1996
- W. Rudolph: Der kulturelle Relativismus. Kritische Analyse einer Grundsatzfragen-Diskussion in der amerikanischen Ethnologie. Berlin 1968
- A. Wierlacher (Hg.): Kulturthema Fremdheit. Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung. Mnchen 1993.