Komplementär,Komplementarität
(1) Verschiedene, sich gegenseitig ausschließende Erklärungen desselben Objekts stehen im Verhältnis der K. zueinander, wenn sie als sich ergänzende Aussagen angesehen und akzeptiert werden. (2) Bezugspunkt für die philosophische Diskussion ist der Begriff der K., wie er von Bohr zur Interpretation der Quantentheorie (Quantenmechanik) eingeführt wurde: Ort und Impuls z.B. sind k.e Größen, weil einem mikrophysikalischen System wie einem Elektron nicht zugleich ein beliebig genauer Ortswert und ein beliebig genauer Impulswert zugeschrieben werden kann (Unschärferelation). Notwendig für die K. zweier Merkmale ist, dass diese Merkmale sich auf denselben Gegenstand beziehen und dass sie inkompatibel sind: Beide Merkmale können nicht zugleich in Bezug auf denselben Gegenstand in beliebig genauer Weise bestimmt werden. Zuerst Merkmal A und dann Merkmal B an dem Gegenstand zu bestimmen, führt zu einem anderen Resultat, als zuerst Merkmal B und dann Merkmal A an dem Gegenstand zu bestimmen. Um K. von bloßer Inkompatibilität zu unterscheiden, ist es sinnvoll, für K. folgende zusätzliche Bedingung zu fordern: Geht man von der Bestimmung des einen zu der Bestimmung des anderen von zwei inkompatiblen Merkmalen über, so ist das Ergebnis nicht exakt prognostizierbar; es kann höchstens eine Übergangswahrscheinlichkeit angegeben werden. Innerhalb derselben Theorie kann diese Wahrscheinlichkeit nicht in Hinblick auf eine exakte Prognose präzisiert werden. Bohrs Programm, der K. über die Physik hinaus Bedeutung zu verschaffen, ist Gegenstand der philosophischen Diskussion.
ME
LIT:
- N. Bohr: Atomtheorie und Naturbeschreibung. Berlin 1931
- Ders.: Atomphysik und menschliche Erkenntnis I u. II. Braunschweig 1958/1966
- M.E. Carvallo (Hg.): Nature, Cognition and System 2: On Complementarity and Beyond. Dordrecht 1992
- J. Faye/H. J. Folse (Hg.): N. Bohr and Contemporary Philosophy. Dordrecht 1994.