Nyāya
(sanskrit, Regel, Argument). Die indische Tradition betrachtet den N. zusammen mit dem Vaiśeṣika als komplementäre Teile eines übergeordneten Systems. Beide Systeme erkennen zwar den Veda (Veden) als letzte Autorität an, aber es geht ihnen weniger um dessen Erklärung, wie etwa der Mīmāṃsā, sondern darum, wie und was man innerhalb einer anerkannten und vorausgesetzten Realität erkennen kann. Für eine solche Erkenntnis gibt es für den N. vier Möglichkeiten (pramāṇa): 1. die Wahrnehmung (pratyakṣa); 2. der Schluss (anumāna); 3. die Analogie (upamāna); 4. die (sprachliche) Überlieferung (śabda). Das Grundwerk des N. sind die N.-Sūtra des Gotama. Als Analyse- und Argumentationsmethode war der N. v.a. auf dem Gebiet der Dialektik und Logik produktiv. Der N. schafft letztlich den indischen Syllogismus (anumāna) in fünf Gliedern: 1. Behauptung (pratijñā): »auf dem Berg ist Feuer«; 2. Begründung (hetu): »denn er raucht«; 3. Beispiel (udāharaṇa): »wo Rauch ist, ist Feuer – wie am Herd«; 4. Zurückführung [zum Ausgangspunkt] (upanaya): »der Berg raucht«; 5. Ergebnis (nigamana): »also ist auf ihm Feuer«. In diesem Bsp. ist Berg das (empirisch beobachtete) Subjekt (pakṣa), Feuer das Festzustellende (sādhya), Rauch 1. das Merkmal (liṅga) des Feuers, 2. das Mittel zur Feststellung (sādhana) und 3. der logische Grund (hetu). Rauch ist immer von Feuer begleitet (vyāpya), während Feuer nur dessen Begleiterscheinung (vyāpaka) ist, d.h. der Schluss: »wo Rauch ist, ist auch Feuer« ist nicht umkehrbar. Die zur Erlösung führende richtige Erkenntnis hat als Gegenstände »Seele, Körper, Sinnesorgane, Objekte, Erkenntnis, psychisches Organ, Betätigung, Laster, Fortleben nach dem Tode, Vergeltung, Leid und Erlösung« (E. Frauwallner): Diese Aufzählung zeigt schon, dass es sich beim N. eigentlich um ein analytisch-logisches System auf naturphilosophischer Grundlage handelt, in das eine Erlösungslehre aufgenommen wurde. Erkenntnis führt in einer kausalen Zwangsläufigkeit zur Erlösung, »... indem von Leid, Geburt, Betätigung, Lastern und falscher Erkenntnis durch die Aufhebung des jeweils Folgenden das Vorhergehende verschwindet« (ebda).
MD
LIT:
- H. v. Glasenapp: Die Philosophie der Inder. Stuttgart 1974. S. 232 ff
- A. B. Keith: Indian Logic and Atomism. London 1921
- K. H. Potter (Hg.): Encyclopaedia of Indian Phil. Bd. 2. Delhi 1977
- W. Ruben: Die Nyāyasūtras. Leipzig 1926 (bersetzung).