Historik
Folgt man begriffsgeschichtlichen Analysen, gibt es »die mit ›H.‹ gemeinte Sache, eine Wissenschaftstheorie der Historie, bis in die Gegenwart nicht, weder unter diesem noch einem anderen Titel; Definitionsversuchen fehlt daher der Orientierungspunkt« (Hedinger). Assoziert ist der Begriff H. üblicherweise mit Droysen, dessen zwischen 1857 und 1883 gehaltenen Vorlesungen zur »Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte« postum 1937 unter dem Titel »H.« publiziert werden. »H.« bedeutet für Droysen, der den Ausdruck wohl unmittelbar von seinem Lehrer A. Boeckh übernimmt, eine geschichtswissenschaftliche Methodenlehre, die sich ebensosehr von spekulativer Geschichtsphilosophie wie naivem Positivismus freihält. Zentral in Droysens Entwurf eines »Organon des historischen Denkens und Forschens« ist vielmehr die unüberbrückbare Differenz zwischen der Tatsächlichkeit des Vergangenen und seiner Rekonstruktion durch den Historiker. Aus der Einsicht in die Subjektivität der historischen Rekonstruktion, die zudem auf eine prinzipiell fragmentarische Überlieferung angewiesen bleibt, hat Droysen allerdings keine relativistischen Konsequenzen gezogen, sondern das Verstehen als Mittel historischer Erkenntnis unterstrichen, das im Nachvollzug der »Äußerungen und Gestaltungen«, die als historisches Material vorliegen, eine »wesentliche Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit« von Historiker und Historie herstelle. Während Droysens H. in diesem Zusammenhang v.a. für die philosophische Hermeneutik eine gewichtige Rolle spielt, ist »H.« außerhalb spezifisch philosophischer Kontexte weiterhin als programmatischer Titel für verschiedene Ansätze zu einer Theorie der Geschichtswissenschaft gebräuchlich.
DK
LIT:
- H. M. Baumgartner/J. Rsen (Hg.): Seminar: Geschichte und Theorie. Umrisse einer Historik. Frankfurt 1976
- J. Rsen: Begriffene Geschichte. Genesis und Begrndung der Geschichtstheorie J. G. Droysens. Paderborn 1969.