Perzeption
(lat. perceptio: Wahrnehmung), allgemein die Wahrnehmung sowohl als geistiger Akt als auch als Inhalt des Bewusstseins. Im Rahmen der verschiedenen philosophischen Konzeptionen erhält P. eine jeweils spezifische Bedeutung. Seit der Stoa bildet P. das Vermögen des durchsichtigen, unfehlbaren Wahrnehmens, aber erst in der neuzeitlichen Erkenntnistheorie entwickelt sich P. zu einem Grundbegriff: Die Dinge werden als Dinge eines perzipierenden Subjekts betrachtet, das ihre Präsenz und Erfassbarkeit sicherstellt. In der Substanzenlehre Descartes’ ist die P. der eigentümliche Vollzug der denkenden oder vorstellenden Substanz (res cogitans). Zum gemeinsamen Begriff der P. oder des Denkens oder des Bewusstseins gehören u. a. »erkennen«, »wollen«, »sich etwas einbilden« und »empfinden«. Leibniz differenziert als erster Denker zwischen der P. (passive Wahrnehmungsfähigkeit) und der Apperzeption (aktives Selbstbewusstsein). Im Zusammenhang mit seiner Lehre vom Stufenreich der Monaden, die durch den Grad an Klarheit und Deutlichkeit ihrer P.en geordnet sind, schuf er den Begriff der unbewussten Wahrnehmungen oder Vorstellungen (petites oder insensibles perceptions), deren Bereich er für wesentlich größer hält als den Bereich der P.en, die durch Apperzeption ins Bewusstsein gelangen. Leibniz vertritt die Annahme der Wesenseinheit von P. und willenhaftem Streben (appetitus). Locke lehnt die Existenz unbewusster P. en ab: Alles Wahrgenommene kommt ins Bewusstsein. Der Umfang des Bewussten ist identisch mit der Gesamtheit der P.en, da die Seele eine Tabula rasa ist. Nach Berkeleys Prinzip »Esse est percipi« konstituiert das Wahrgenommenwerden durch das Subjekt die Dinge. A. N. Whitehead entwickelt in Auseinandersetzung mit Berkeleys Erkenntnistheorie den Begriff der Prehension, die eine Erfassungshandlung des Subjekts im Kontext seiner Selbstentfaltung darstellt. Damit wird P. zum schöpferischen Akt.
RS
LIT:
- R. Descartes: Regulae ad directionem ingenii. In: uvres. Bd. 10. Paris 1946 (dt.: Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft. Hamburg 1973)
- R. J. Hirst: The Problems of Perception. London l978
- G.W. Leibniz: Neue Abhandlungen ber den menschlichen Verstand (frz.-dt.). Darmstadt 1959/61
- J. Locke: An Essay concerning Human Understanding. London/New York 1961 (dt. Versuch ber den menschlichen Verstand. Hamburg 1981)
- G. J. Warnock (Hg.): The Philosophy of Perception. London 1967
- A. N. Whitehead: Proze und Realitt. Frankfurt 1979.