Wissenschaftstheorie,evolutionäre
Die von Popper, Campbell und Toulmin entwickelte e.W. will Strukturgesetze der biologischen Evolution auf das »Wachstum« des theoretischen Wissens transferieren. Häufig wird auch das »Wachstum« der Kultur insgesamt, d.h. die kulturelle Evolution thematisiert. Der Gegenstand der wissenschaftlichen Evolution sind Theorien. Diese entstehen nach der e.W. durch zufällige Abänderungen ihrer Vorläufer (»Mutation«) und werden durch die wissenschaftliche Kritik »selektiert«. Die »überlebenden« Theorien sollen der Wahrheit näher kommen als die ausgeschiedenen. D.h. die wissenschaftliche Evolution läuft am Ziel der Wahrheit orientiert ab. Der Unterschied zur biologischen Evolution: Diese bewirkt Fitness, d.h. sie duldet verschiedene Lösungen eines »Überlebensproblems« (vgl. »ökologische Nischen«). Die wissenschaftliche Evolution akzeptiert jedoch nur eine Lösung eines theoretischen Problems. Weitere Unterschiede bestehen darin, dass die Termini der e.W. bloß metaphorisch zu verstehen sind, da sie Mutation und Selektion nicht in dem biologischen Sinn erfassen, der es erlaubt, diese auf Grundlage biochemischer und physikalischer Gesetze zu interpretieren. Die wissenschaftliche Evolution ist im Gegensatz zur biologischen ein bewusster und gesteuerter Prozess, der sich in Jahrzehnten und Jahrhunderten abspielt. Gegenstand, Modus und Ziel von biologischer und wissenschaftlicher Evolution sind verschieden.
BG
LIT:
- K. R. Popper: Objektive Erkenntnis. Hamburg 1973
- G. Vollmer: Was Evolutionre Erkenntnistheorie nicht ist. In: R. Riedl/F. M. Wuketits (Hg.): Die Evolutionre Erkenntnistheorie. Berlin/Hamburg 1987. S. 140155.
Erkenntnistheorie,evolutionäre
beansprucht, eine wissenschaftliche Theorie des Erkennens mit philosophischer Bedeutsamkeit zu sein. Sie tritt in drei Grundvarianten auf: (1) orientiert am Kritischen Rationalismus (Vollmer), (2) ausgerichtet am Induktionsschema (Riedl) und (3) als Selbstorganisation oder Autopoiesiskonzeption (Maturana, Varela; Autopoiesis). Erkenntnis ist nach Vollmer eine adäquate Rekonstruktion und Identifikation äußerer Strukturen im Subjekt, die »Passung« und eine gewisse Art von »Abbildung« voraussetzen. Dabei wird Erkenntnis als Anpassungsleistung des Organismus an seine ökologische Nische und damit zumindest indirekt durch das Überleben definiert. Gemäß der e.n E. sind die Anschauungsformen und die Kategorien der Erfahrung, die Qualitäten der Wahrnehmung und die Grundelemente des Schließens, der Klassifikation und Abstraktion angeboren und für mesokosmische Erkenntnis konstitutiv, nicht aber für wissenschaftliche Theorien. E. E. geht von der naturalistischen These aus, dass Erkennen eine Gehirnfunktion, Funktion einer biochemischen Maschine und als solche zugleich ein Ergebnis der biologischen Evolution ist. Während Vollmer den Prozess der Erkenntnisgewinnung durch Versuch und Irrtum charakterisiert, beschreibt Riedl Erkenntnis als Leistung des ratiomorphen Apparates als zunehmende Abstraktion. Für ihn gehört die Hypothese vom anscheinend Wahren zu den Grundbedingungen einer assoziativen Orientierung in dieser Welt. Vollmer vertritt einen hypothetischen, Riedl einen pragmatischen Realismus. Die dritte Position – auch Radikaler Konstruktivismus genannt – verlässt diese realistische Basis und wertet die aktive Rolle, den Leistungscharakter des Erkennens sowie Erkennen als Interpretation und Konstruktion auf. Der erkennende Organismus konstituiert im Erkennen erst die zu erkennende Welt als operationale Einheit. Dieses Modell stellt eine Übersetzung idealistischer Positionen in das Schema eines evolutionären Materialismus oder der Systemtheorie dar.
BI
LIT:
- E.-M. Engels: Erkenntnis als Anpassung? Frankfurt 1989
- B. Irrgang: Lehrbuch der Evolutionren Erkenntnistheorie. Mnchen/Basel 1993
- G. Vollmer: Evolutionre Erkenntnistheorie. Stuttgart 31983.
Ethik,evolutionäre
zielt darauf ab, unsere angeborenen Verhaltens- und Handlungsstrukturen, kooperatives Verhalten und Altruismus eingeschlossen, als darwinistische Anpassungen an unsere evolutionäre Vergangenheit zu erklären. Das soziobiologische Konzept (Soziobiologie) der Gesamtfitness und der Sippenselektion spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Die friedfertige altruistische Moral der Kleingruppe bleibt auf Sippe und Stamm begrenzt. Um aber dem naturalistischen Fehlschluss zu entgehen, muss eine E. auch in evolutionärer Perspektive vier grundsätzliche Untersuchungsebenen unterscheiden und die Bedeutsamkeit der Biologie hierfür jeweils unterschiedlich veranschlagen. Auf der Ebene (1) geht es um die Herkunft von Normen und Werten. Im Aufweis der Evolution menschlichen Sozialverhaltens und institutioneller Tatsachen wie gemeinsamer Jagd, Arbeitsteilung, Geschlechtsrollen oder Brutpflege kann sie hier zeigen, dass bestimmte sittliche Werte naturale Vorbedingungen aufweisen. Die Analyse der Artentstehung und der Besetzung von ökologischen Nischen öffnet zudem die Augen für den Zusammenhang von Umwelt und Verhalten. Davon zu unterscheiden ist (2) die Ebene der argumentativen Begründung und Rechtfertigung von Sollensansprüchen, die bei einer nicht bloß formalen E. von einem Menschenbild abhängig ist. Zur Erhellung der anthropologischen Bedingungen der Moral kann die e.E. in begrenztem Maße beitragen. In einer (3) Hinsicht sind Strukturen von Handlungen und Entscheidungen zu analysieren. Wichtig sind hier ihre Hinweise auf das Emotionale und Instinkthafte bei der Entstehung von Werten und Entscheidungen. Auf der Ebene (4) als Reflexion auf Einlösungschancen von Sollensansprüchen leisten soziobiologische Analysen institutioneller Tatsachen gute Dienste. Aus biologischen Gründen sei unsere Befähigung zu moralischem Verhalten begrenzt.
BI
LIT:
- B. Irrgang/M. Lutz-Bachmann (Hg.): Begrndung von Ethik. Wrzburg 1990. S. 768
- B. Irrgang: Lehrbuch der Evolutionren Erkenntnistheorie. Mnchen/Basel 1993
- H. Mohr: Natur und Moral. Darmstadt 1987
- H. Mohr: Evolutionre Ethik. In: Information Philosophie 4/1986. S. 416.