Tropen,skeptische
Von Ainesidemos von Knossos im 1. Jh. v. Chr. bei seiner Erneuerung des Pyrrhonismus eingeführte »Weisen« (tropoi) skeptischer Argumentation, deren Ziel es ist, jede Sach- und Wertfrage durch ein »Gleichgewicht« von Pro und Contra (Isosthenie) unbeantwortbar werden zu lassen, um schließlich umfassende Urteilsenthaltung (Epoché, skeptische) zu erreichen. – Durch Diogenes Laertius und Sextus Empiricus sind drei verschiedene T.listen überliefert. Die erste mit 10 T. geht auf Ainesidemos zurück, die zweite mit 5 T. wird einem Agrippa zugeschrieben, die dritte mit 2 T. ist unbekannter Herkunft. Unklar bleibt, ob die späteren Listen die früheren ergänzen, ersetzen oder ökonomisch reduzieren sollen. – Die ˲Mechanisierung˱ der skeptischen Argumentation, die mithilfe der T. versucht wird, drängt sich im Pyrrhonismus auf, weil die Unbeantwortbarkeit aller Fragen hier nicht deduziert werden kann. Das Gleichgewicht von Pro und Contra muss sich vielmehr im einzelnen Fall als subjektives Erlebnis einstellen. Um dies Erlebnis bezüglich aller Fragen zu erreichen, was er aus ethischen Gründen anstrebt, muss der Pyrrhoneer daher Pro und Contra jeder einzelnen Frage betrachten und zudem jede neu auftretende Behauptung einbeziehen, was ohne allgemein anwendbare Argumentationsschemata, wie sie die T. bieten, nicht praktikabel wäre. – Die 10 T. des Ainesidemos, die mithilfe von vielerlei Beispielen zeigen, dass wir nicht sagen können, wie die Dinge an sich beschaffen sind, sondern nur, wie sie uns erscheinen, sind in der skeptischen Literatur seit der Renaissance vielfach rezipiert und, teilweise mit Ergänzungen, zur Kritik der Sinneserkenntnis verwandt worden. Die systematische Bedeutung der 5 agrippinischen T. hat sich z.B. in der Debatte um den Kritischen Rationalismus gezeigt (Münchhausentrilemma).
AE
LIT:
- H. Albert: Traktat ber kritische Vernunft. Tbingen 51992. – J. Annas/J. Barnes: The Modes of Scepticism. Cambridge 1985
- J. Barnes: The Toils of Scepticism. Cambridge 1990
- Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berhmter Philosophen. bers. v. O. Apelt. Hamburg 1998
- Sextus Empiricus: Grundri der pyrrhonischen Skepsis. bers. v. M. Hossenfelder. Frankfurt 52002.
Epoché,skeptische
abgeleitet von griech. epechein: innehalten, sich einer Sache oder Tätigkeit enthalten. Als philosophischer Begriff vermutlich durch Pyrrhon von Elis (ca. 360–270 v. Chr.) geprägt, geläufig geworden in seiner Verwendung durch die neuere platonische Akademie. E., deutsch zumeist mit »Urteilsenthaltung« (engl. suspension of judgment) wiedergegeben, bezeichnet nach Sextus Empiricus’ Definition »ein Stillstehen des Verstandes, durch das wir weder etwas aufheben noch setzen«. Die E. wurde in der Antike als wesentliches Kennzeichen des Skeptizismus betrachtet, so dass man dessen Vertreter »sich des Urteils über alles Enthaltende« nannte. Auch in späterer Zeit ist E. häufig als zentraler skeptischer Begriff verstanden worden, so etwa bei Montaigne und Kierkegaard, im Rahmen neuerer Verteidigungen des Skeptizismus z.B. bei A. Naess. – Die E. wird jedoch auf zwei sachlich prinzipiell verschiedene Weisen gedeutet: einmal als (unwillkürliche) Erfahrung, zum anderen als Entscheidung. Wird E., wie vor allem im Skeptizismus der platonischen Akademie und bei Kierkegaard, als Entscheidung begriffen, müssen Gründe für sie aufgeboten werden. Eine Begründung der E. in Bezug auf p kann z.B. folgendermaßen lauten (nach Ciceros Academica): ›Sowohl für als auch gegen p spricht etwas. Da sich nun wahre Vorstellungen nicht von falschen unterscheiden lassen und es geboten ist, Irrtümer zu vermeiden, ist es folglich geboten, sich des Urteils bezüglich p zu enthalten.‹ Insofern jede derartige Begründung ihrerseits Urteile enthält, lässt sich umfassende E. auf diese Weise jedoch nicht erreichen. Anders liegt der Fall im antiken Pyrrhonismus. Dort wird die E. als etwas aufgefasst, das dem Einzelnen bei einem bestimmten Stand der Argumentation – nämlich dem Gleichgewicht von Pro und Contra einer Frage (Isosthenie) – widerfährt, also als Erfahrung oder Erlebnis (pathos). Die argumentative Anstrengung der Pyrrhoneer ist darauf gerichtet, das Erlebnis der E. bezüglich jeder Sachfrage herbeizuführen (Tropen, skeptische), was nicht in destruktiv-theoretischer, sondern in konstruktiv-praktischer Absicht geschieht, da die Pyrrhoneer erfahren haben, dass sich als »Schatten« der E. Glückseligkeit (Eudaimonie) einstellt.
AE
LIT:
- Cicero: De Natura Deorum. Academica. Lat.-Engl. Transl. by H. Rackham. London 1956
- S. Kierkegaard: Philosophische Brocken. bers. v. L. Richter. Frankfurt 1988
- A. Naess: Scepticism. London/New York 1969. – Sextus Empiricus: Grundri der pyrrhonischen Skepsis. bers. v. M. Hossenfelder. Frankfurt 52002.