Tabu
Der Begriff stammt aus dem Polynesischen und kann als ungeschriebener Gesetzeskodex gelten, der die religiösen, politischen, moralischen und sozialen Verhältnisse in Stammesgesellschaften regelt. In ihm symbolisiert sich das »besonders Gemerkte« oder »zu Merkende«, auch: das Verbotene; z.B. das Inzesttabu und das Tötungstabu. Seine Herkunft ist unbekannt; es bedarf keiner Begründung. Im Falle der Übertretung wird die Strafe oft einer inneren, automatisch wirkenden Einrichtung überlassen. Von den Personen, Gegenständen, Zuständen, Örtlichkeiten und Handlungen, die mit einem T. versehen sind, geht eine bes. Kraft aus (Mana), die die Schutzverhältnisse sichert. In ihm verkörpert sich nicht nur die Macht in ihrer gegensätzlichen Qualität des Heiligen und des Unreinen; es verweist auch auf die Ohnmacht derer, die dem T. unterworfen sind. Somit ist die Anziehung, die vom T. ausgeht, wie das T. selbst, ambivalent. – Freud führt diese Doppeldeutigkeit in seiner kulturtheoretischen Schrift Totem und Tabu, in der er über die Aufklärung der psychologischen Bedeutung des T.s hinaus eine Erklärung für die Genese der Moral formuliert, zurück auf eine innere Gefühlsambivalenz: Die Autorität wird zugleich geliebt und gehasst. In der Institution des T. soll der destruktive, die Gemeinschaft bedrohende Aspekt sozialisiert, d.h. sowohl gebunden, als auch gebannt werden. Demnach lässt sich z.B. die Gottesverehrung als idealisierte Kehrseite des Hasses erklären, der von der Ohnmacht gegenüber der (all) mächtigen Autorität hervorgebracht wird und durch den sich die Errichtung eines vernünftigen Sittengesetzes nach wie vor legitimiert.
EF
LIT:
- J.G. Frazer: Der goldene Zweig. Bd. 1. Frankfurt 1977
- S. Freud: Totem und Tabu (Studienausgabe Bd. 9. Frankfurt 196975)
- K.-H. Kohl: Fetisch, Tabu, Totem. In: B. Gladigow/H. G. Kippenberg (Hg.): Neue Anstze in der Religionswissenschaft. Mnchen 1983. S. 5974
- H. Webster: Taboo. New York 1973.