Brahmanismus
religionsgeschichtlicher Überbegriff, mit dem man die Entwicklungsphase indischer Religion (und Philosophie) zwischen vedischer Periode (Veda) und Hinduismus (ca. 2. Hälfte des 1. Jh. v. Chr. bis 1. Hälfte des 2. Jh. n.Chr.) und die daran anknüpfende Tradition bezeichnet, wobei die Grenzen durchaus fließend sind. Der Begriff leitet sich her von der sozialen Schicht, die den B. trug: der der Brahmanen. Im B. wird der Veda als autoritär anerkannt (sruti »Gehörte«), an den sich dann weitere Literatur und Tradition, als überliefert (sm.rti »Erinnerte«) bezeichnet, anschließt. Im B. verschmilzt Vedisches mit anderen Strömungen der indischen Geistesgeschichte. Für die indische Philosophie wichtig ist, dass trotz erheblicher Unterschiede die sechs indischen philosophischen Systeme zum B. gezählt werden. Als Ausgangspunkte für die Philosophie des B. kann man etwa die Philosophien der Epen ansehen. Der bekannteste solcher Texte, die v.a. in das Mahābhārata eingeschaltet sind, ist die Bhagavad-Gītā (Mahābhārata VI, 25–42); wichtige und alte Partien finden sich aber auch im 12. Abschnitt des Epos, im Mokṣadharma (»Gesetz der Erlösung«). Wichtige Grundkonzepte, die man schon in den Upaniṣaden findet (Karma, Ātman, Brahman, Bhakti, Saṃsāra und Mokṣa), werden systematisiert. Die Texte zeigen Einflüsse des Sāṃkhya und des Yoga. Die »klassische« Kosmologie mit ihrer Lehre vom Entstehen und Vergehen des Kosmos, von den vier Weltzeitaltern (yugāni) wird erörtert, und es werden – für den späteren Vedānta wichtig – dualistische und monistische Ansätze sowohl in der Kosmologie als auch in der Seelenlehre vorgebracht. Für die Seelenlehre ist wichtig, dass sich die Vorstellung von selbständigen Einzelseelen festigt, und dass die Erlösungslehre systematisiert wird, indem für die Bindung der Seele in den Geburtenkreislauf die Verbindung der Sinnesorgane mit den Sinnesobjekten verantwortlich gemacht wird, v.a. das Denkorgan manas, an das sich die Werke (Karma) anheften. Allmählich gewinnen im B. monotheistische Gedanken an Boden (Bhagavad-Gītā). In den Texten der Purāṇas ist das philosophische Hauptthema dann die zur Erlösung führende Hingabe (Bhakti) an die beiden Hochgötter (Īśvara) Viṣṇu(-Krṣṇa) und Śiva.
MD
LIT:
- E. Frauwallner: Geschichte der indischen Philosophie. Bd. I. Salzburg 1953. S. 97 ff
- J. Gonda: Die Religionen Indiens I. Stuttgart 21978. S. 214 ff.