Māyā
(sanskrit, Zauberkraft). Als M. wird in der Zeit bis zu den mittleren Upaniṣaden die Zauberkraft der Götter oder deren Widersacher, v.a. des strafenden Varuṇa, verstanden. In Śvetāśvatara-U. 4.9.f. wird der entscheidende Schritt zur späteren Bedeutung »Kraft der Illusion« im Vedānta getan, wenn M. mit der durch den höchsten Gott hervorgebrachten Prakṛti, der dem absoluten geistigen Prinzip gegenüberstehenden Materie, gleichgesetzt wird, von der es sich zu befreien gilt (1.10. ff.), um erlöst zu werden. In der Bhagavad-Gītā ist M. die ureigenste Fähigkeit (ātmamāyā) des höchsten Gottes, durch die er die Prakṛti emaniert (4.6.) und die Wesen agieren lässt (18.61.). In der Folge rückt die negative Wertung des Begriffes M. als erkenntnishemmende Verblendung in den Vordergrund. Eine wichtige Stellung nimmt M. in der Advaita-Philosophie ein, die gar als māyāvāda (M.- Lehre) bezeichnet wird. M. ist auch hier die Potenz, mittels derer der höchste Gott (Iśvara) den Weltprozess hervorbringt. Sie äußert sich für die Seele (Jīva) im Nichtwissen (Avidyā), durch das diese wie im Tiefschlaf an den Kreislauf der Geburten (Saṃsāra) gekettet ist. Eine letzte Realität kommt nur dem höchsten Gott zu, die M. bringt die Vielheit hervor. Das Wissen, dass die Vielheit, zu der auch die erkennende Seele gehört, identisch ist mit dem Absoluten, führt zur Erlösung (Mokṣa). Für den Vedānta ist die M. die Zeugungskraft (bījaśakti) des höchsten Gottes, aber genau wie die Erscheinungen, die durch sie hervorkommen, ohne Realität (tattva), nur Schein (vivarta). Diese Unterordnung des »Materiellen« unter das »Geistige« unterscheidet sie von der Prakṛti des Sāṃkhya.
MD
LIT:
- P. Hacker: Eigentmlichkeiten der Lehre und Terminologie Śankaras. In: Zs. der Morgenlndischen Gesellschaft 100 (1950). S. 246 ff
- Ders.: Vivarta. Wiesbaden 1953
- M. Hiriyanna: Vom Wesen der indischen Philosophie. Mnchen 1990. S. 226 ff.