Intuitionismus
In der Debatte über die Grundlagen der Mathematik setzt sich der ursprünglich von L. E. J. Brouwer ausgearbeitete I. hauptsächlich dem Logizismus und dem Formalismus entgegen. Dem mathematischen I. liegt die These zugrunde, dass das Verstehen einer mathematischen Aussage aufgrund der mentalen Konstruktionen zu erklären ist, die zu einem Beweis führen. Der Beweis einer mathematischen Aussage, womit die Existenz eines Gegenstandes behauptet wird, muss demnach ein Verfahren liefern, um den Gegenstand zu konstruieren. Haben wir einen Beweis für eine Aussage p gegeben, so ist p behauptbar. Haben wir keinen Beweis, so folgt daraus nicht, dass p falsch ist. Diese Auffassung beinhaltet eine Ablehnung des Prinzips, wonach jede Aussage entweder wahr oder falsch ist. Bei Aussagen über unendliche Bereiche ist nicht davon auszugehen, dass wir immer über einen Beweis verfügen. Die Aussage gilt dann als weder wahr noch falsch.
GSO
LIT:
- L. E. J. Brouwer: Zur Begrndung der intuitionistischen Mathematik, I-III. In: Mathematische Annalen 93 (1925), S. 244257; 95 (1926), S. 453472; 96 (1927), S. 451488
- M. Dummett: Elements of Intuitionism. Oxford 1977
- A. Heyting: Intuitionism. Amsterdam 1956
- A. S. Troelstra: Principles of Intuitionism. Berlin 1969.
Intuitionismus,ethischer
Bezeichnung für diejenigen Ethikkonzeptionen, nach denen an der Grundlage ethischen Wissens unmittelbare Einsichten (Intuitionen) liegen. Eingeschlossen ist dabei die These, moralische Grundbegriffe wie »gut«, »richtig« oder »Pflicht« usw. könnten nicht, wie vom metaethischen Naturalismus behauptet, durch außermoralische Begriffe erklärt werden. Entsprechend werden dem e.I. zufolge moralische Urteile in letzter Instanz durch unmittelbare evidente Einsichten oder Gefühle bzw. eine Wertschau des einzelnen Subjekts fundiert. Zu den englischsprachigen Hauptvertretern gehören G. E. Moore (der mit dem e.I. eine Variante des Utilitarismus zu verbinden sucht), H. A. Prichard (der einzelne Handlungen aufgrund des e.I. als moralisch richtig oder falsch auszuzeichnen versucht, also einen hand-lungsdeontologischen e.I. vertritt) und W. D. Ross (der für einen Regeldeontologismus auf der Basis des e.I. eintritt, nach dem prima-facie Pflichten intuitiv eingesehen werden könnten). Die wichtigsten deutschsprachigen Vertreter eines e.I. sind M. Scheler und N. Hartmann, die den e.I. als einen Bestandteil in ihre Wertethik aufnehmen. – Als schwerwiegender Einwand gegen den e.I. wird oft der Hinweis angesehen, dass verschiedene Personen Verschiedenes, u.U. moralisch Unverträgliches als evident ansehen, ohne dass eine immanente Rechtfertigung oder Überprüfung ihrer Ansichten möglich wäre (da eine Berufung auf die unterschiedlichen Intuitionen nicht weiter führe). Moderne Intuitionisten versuchen dieser Problematik zu begegnen, indem sie auf Überlegungen zur Kohärenz, auf Reflexionsverfahren (die näher zu bestimmen bleiben) u. a.m. als Ergänzung zu den intuitionistischen Positionen zurückgreifen.
WK
LIT:
- N. Hartmann: Ethik. Berlin 1926
- W. Kellerwessel: Kritische Anmerkung zur Reevaluierung des moralphilosophischen Intuitionismus. In: prima philosophia 17 (2004), H. 1, S. 81102
- Ders: Normenbegrndung in der Analytischen Ethik. Wrzburg 2003. S. 123147
- G. E. Moore: Principia Mathematica. Cambridge 1903 (dt. Stuttgart 1970)
- H. A. Prichard: Does Philosophy Rest on a Mistake? In: Mind 21 (1912) (dt. in: G. Grewendorf/G. Meggle (Hg.): Seminar: Sprache und Ethik. Frankfurt 1974)
- W. D. Ross: The Right and the Good. Oxford 1930
- Ders.: Foundations of Ethics. Oxford 1939
- M. Scheler: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. Halle, 1913/16; Bern/Mnchen 1954
- Ph. Stratton-Lake (Hg.): Ethical Intuitionism. Re-evaluations. Oxford 2002.