Leere
Im radikalen Durchdenken des Nihilismus entwickelt Keiji Nishitani (Kyôto-Schule) im Anschluss an das Denken Kitarô Nishidas eine »Philosophie der L.«. Als Hintergrund für seinen Ansatz ist der zentrale Satz aus dem Herz-Sutra: »Das Reale/die Erscheinung ist zugleich Leere, die Leere ist zugleich das Reale/die Erscheinung« von entscheidender Bedeutung. Da alle Dinge in der Welt in gegenseitiger Abhängigkeit auseinander hervorgehen (sanskrit: pratītya samutpāda: entstehen in Abhängigkeit; Grundkonzept des Buddhismus), hat das Wesen des Einzelnen keine feste Substanz, sondern ist »L.«. So besteht alles Seiende in wechselseitiger Durchdringung, konstituiert durch das »Feld der L.«, das in jedem Einzelseienden ganz erscheint. Dieser Welt-Zusammenhang manifestiert sich in jedem Augenblick und an jedem Ort. Jeder Punkt und jeder Augenblick ist Zentrum des Ganzen. Die Geschichte als eine kontinuierliche Entwicklung gründet im Ort des Augenblicks, der je alles neu aus sich hervorgehen lässt. Der Nihilismus wird so im Gedanken der abgründigen L. vertieft und durchbrochen, wodurch Geschichte einen neuen, schöpferischen Sinn erhält.
RE
LIT:
- K. Nishitani: Was ist Religion. Frankfurt 21986.
Leere
für die Begründer des antiken Atomismus, Leukipp und Demokrit, das dem harten und vollen Seienden entgegengesetzte Nicht-Seiende. In dieser unbegrenzten L. treffen unendlich viele Atome aufeinander und bilden so die Gegenstände in der Welt. Diese L., obwohl nichtseiend, soll doch existent sein. – L. dient auch als Metapher für den unendlichen Ursprung aller Wirklichkeit in seiner Verschiedenheit von allem Seienden in der Welt. Wird er in diesem Sinne als jenseits von Sein und Nichts stehend angesehen, z.B. im Neuplatonismus bei Meister Eckhart, Nikolaus von Kues und Nagarjuna, so kann er in ähnlicher Bedeutung auch die L. genannt werden. Dabei zeichnet L. paradoxerweise gerade die »überseiende« Fülle. Vor allem Lao-tse gebraucht L. im Tao Té King in diesem Sinn. In der Mystik, sowohl Asiens wie Europas, wird auch dem menschlichen Geist eine Fähigkeit zur L. zugeschrieben. Sie wird als Freiwerden von Begierden, falschen Bindungen des Ich an Gegenstände und so als Leerwerden für Gott oder die Alleinheit angesehen. – Heidegger hat das Wesen des Kruges als eines Dings von der »fassenden L.« her bestimmt und ihn von daher dem »Geviert« von Erde und Himmel, Göttlichem und Sterblichem zugeordnet.
GS
LIT:
- M. Heidegger: Vortrge und Aufstze. Pfullingen 1954
- Laotse: Tao te king. bers. u. komm. v. R. Wilhelm. Kln 1978
- G. S. Kirk/J.E. Raven/M. Schofild: Die vorsokratischen Philosophen. Einfhrung, Texte und Kommentare. Stuttgart/Weimar 1994
- H. Waldenfels: Absolutes Nichts. Freiburg 1976.