Angemessenheit
als rhetorischer Fachbegriff von Aristoteles eingeführt (griech. prepon) und von der römischen Rhetorik übernommen, bei Cicero übersetzt als lat. decorum, bei Quintilian mit lat. aptum wiedergegeben. Zunächst bezeichnet A. das neben grammatikalischer und lexikalischer Richtigkeit (puritas), Deutlichkeit (perspicuitas) und stilistischer Kunstfertigkeit (ornatus) wichtigste Prinzip sprachlichen Ausdrucks, das aber auf das Reden und Auftreten des Redners insgesamt und zuletzt auf menschliches Handeln überhaupt angewendet werden und damit geradezu als anthropologische Kategorie gefasst werden kann. Bereits im rhetorischen Kontext hat A. nicht nur (1) technische, sondern auch (2) intellektuelle und (3) kommunikative Bedeutung, denn sie bezieht sich auf das Verhältnis (1) der Elemente einer Rede untereinander und zum Ganzen der Rede, (2) der Worte zum Gegenstand der Rede sowie der Rede (3.1) zum Charakter des Redners und (3.2) zu Intelligenz und Emotion, Interesse und Status des Publikums; so findet A. in die Philosophie Eingang sowohl als ästhetisches Prinzip (z.B. in der Forderung nach künstlerischer Harmonie), wie als noetisches Prinzip (z.B. in der Definition von Wahrheit über die Entsprechung von Sätzen und Sachverhalten), wie auch als ethisches und politisches Prinzip (z.B. in der Tugend der Mäßigkeit oder den Überlegungen zur Gerechtigkeit). Worin die situativ bedingte A. jeweils besteht, entscheidet der Geschmack, das Urteilsvermögen oder das Taktgefühl (alles lat. iudicium), da A. sich nicht in allgemein verbindliche Anweisungen fassen lässt. Ein bewusster Verstoß gegen die A. kann je nach Kontext revolutionär oder einfach komisch wirken.
BKO
LIT:
- L. Fischer: Gebundene Rede. Tbingen 1968. S. 184252
- M. Pohlenz: To prepon. In: Ders.: Kl. Schriften. Bd. 1. Hildesheim 1965. S. 100139
- V. Sinemus: Poetik und Rhetorik. Gttingen 1978. S. 53206.