Mündigkeit
eigentlich ein dt. Rechtsbegriff, der die Stellung des germanischen Hausherrn gegenüber seiner Frau, seinen Kindern und Gesinde meint. Im geschichtsphilosophischen Kontext wird M. in der Aufklärungsphilosophie des 18. Jh. intensiv diskutiert, wobei die Kant’sche Definition aus seinem Aufsatz: »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« von 1784 für besondere Furore gesorgt hat. Aufklärung sei, so Kant, »der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.« An diesen Kernsatz der Aufklärung haben sich in der Folge geschichtsphilosophische Diskurse, die an einer evolutionären Veränderung der bürgerlichen Gesellschaft interessiert waren, angeschlossen – wobei der Prozess der Veränderung seine Zielgerichtetheit durch Selbstreflexion des Subjekts erhalten sollte. Daneben hat sich dann freilich ein revolutionärer Diskurs, das Praktisch-werden der Philosophie im Sinne von Marx’ 11. Feuerbachthese, etabliert, der M. zugunsten von Emanzipation preisgibt, wobei dann theoretisch vom Individuum auf die Klasse und vom Selbstbewusstsein aufs Klassenbewusstsein umgestellt wird. Habermas versucht, M. und Emanzipation – die Geschichtsphilosophie der Aufklärung mit Einsichten des Historischen Materialismus – zu verknüpfen und prägt den Begriff des »emanzipatorischen Erkenntnisinteresses«, das die emanzipierte Gesellschaft mit mündig gewordenen Bürgern antizipatorisch erschließt. In mehr oder minder deutlicher Abhängigkeit von solchen Überlegungen spielt der Begriff der M. auch in der neueren Pädagogik (Stichwort: emanzipatorische Erziehungswissenschaft) sowie in der protestantischen Theologie (D. Bonhoeffer, K. Barth) eine Rolle, wenn z.B. gerade die M. des Christen in einer säkularisierten Gesellschaft bemüht wird, um in freier Entscheidung zu Gott zu kommen.
WJ
LIT:
- M. Sommer: Mndigkeit. In: HWPh. VI (1984). Sp. 225235
- W. Vossenkuhl: Mndigkeit. In: Lexikon der Ethik. Hg. v. O. Hffe. Mnchen 41992. S. 49 f.