Prinzip
das, wovon etwas dem Sein oder der Erkenntnis nach seinen Ausgang nimmt. In ontologischer und erkenntnismetaphysischer Redeweise versteht man unter einem P. jeweils ein Erstes, aus dem eine Sache entweder besteht oder entsteht oder erkannt wird (Aristoteles: Metaphysik 1013 a), einen letzten Grund des Seins, des Werdens und Erkennens. Die aristotelische P.ien stellen die Grundlage für die weiterführenden Diskussionen dar: Er führt das Axiom als ein unbeweisbares erstes P. an, dass jeder besitzen muss, der etwas wissenschaftlich begreifen will; daneben stellt die Thesis bzw. die Hypothese oder die Definition die Grundlage für die Forschungsprozesse eines begrenzten Bereichs dar. In der Tradition der Philosophie werden eine Fülle solcher Seins- oder Erkenntnisprinzipien diskutiert. Repräsentativ für die Neuzeit stehen Descartes’ Überlegungen zur Erkenntnisbegründung. Die ersten Ursachen oder P.ien der Philosophie müssen zwei Bedingungen erfüllen: Sie müssen klar und evident sein, d.h. ihre Erwägung darf zu keinem Zweifel führen, und sie müssen eine deduktive Erkenntnis von anderen Dingen ermöglichen. Durch seinen methodischen Zweifel gewinnt er ein erstes P., das cogito-ergo-sum, das als Grundlage der Erkenntnis des anderen Seienden angesehen werden kann. In der weiteren Entwicklung ist es Leibniz, der zwei weitere P.ien benennt: das P. des Widerspruch und das des zureichenden Grundes. Das P. des Widerspruchs genügt, um alle Vernunftwahrheiten wie die mathematischen P.ien zu beweisen, für die Tatsachenwahrheiten bedarf es des P.s des zureichenden Grundes. – Bei Kant werden die Termini »P.« und »Grundsatz« gleichbedeutend verwendet. Die Vernunft wird als das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter P.ien bezeichnet. Die Frage nach der Möglichkeit objektiver Gegenstände und Erfahrung wird zur Leitfrage der KrV, die ihre Beantwortung findet, wenn geklärt ist, wie synthetische Urteile apriori möglich sind. Denn die Verbindung einer Anschauungsvielfalt nach Maßgabe von Begriffen ermöglicht synthetische Urteile, die Verbindung nach Maßgabe reiner Begriffe (d.i. den Kategorien) synthetische Urteile apriori. – Die P.ien der praktischen Vernunft können die Kausalität des Willens auf zweierlei Art bestimmen: Als technisch-praktische P.ien fungieren sie i.S. von Klugheitsregeln, dagegen haben die moralisch-praktischen Pien den Freiheitsbegriff zu ihrer Grundlage. – Husserl formuliert als P. aller P.ien, dass jede originär gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei. Die Grundlage i.S. des absoluten Anfangs aller Erkenntnis bildet die Intuition. Arche.
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LIT:
- Aristoteles: Metaphysik
- R. Descartes: Discours de la mthode. ND Hamburg 1990
- H. Holzhey: Prinzip. In: HWPh
- E. Husserl: Ideen zu einer reinen Phnomenologie und phnomenologischen Philosophie. Hua III/1. S. 87
- I. Kant: Kritik der reinen Vernunft. A XII, B 356 f
- Ders.: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Akad.-Ausg. Bd.4. S. 420
- G. W. Leibniz: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade. Monadologie. Hamburg 21982. 31 ff
- J. Locke: Versuch ber den menschlichen Verstand. Bd. I. Hamburg 41981. 1. Buch.
Anteilnahme,Prinzip der
In Abgrenzung zum Prinzip der formalen Gerechtigkeit wurde von Gilligan ein ethisches Prinzip formuliert, das aus einem Verständnis der wechselseitigen Verbundenheit eine ethische Perspektive entwickelt, in der Fürsorglichkeit (care), Zuwendung und A. die Kategorien zur Beurteilung moralischer Konflikte darstellen. D.h. solche Konflikte werden nicht danach beurteilt, ob abstrakte Rechtsprinzipien verletzt werden, sondern nach einem Verständnis von Verantwortung, das die Folgen einer Handlung für das Erleben anderer und im Hinblick auf die Verletzbarkeit anderer abschätzt. Empathie und Mitgefühl entwickeln sich auf der Grundlage sozialer Beziehungen und Interaktionen. A. wird zum selbstgewählten Prinzip einer Auffassung, die in ihrer Rücksichtnahme auf Beziehungen und Reaktionen psychologisch bleibt, die aber in der Verurteilung von Ausbeutung und Verletzung als universeller Maßstab fungiert. Als ethisches Prinzip stellt sie eine Kritik an den formalen Moral- und Rechtsprinzipien dar, insofern diesen die Annahme der Beziehungslosigkeit der Personen zugrundeliegt. – Diese ethische Konzeption wurde als Gegenmodell aus der Sichtweise weiblichen Denkens entwickelt. Kohlbergs Stufenmodell der Moralurteile wird in seiner Allgemeingültigkeit angezweifelt. Ihm wird ein dreistufiges Modell der Entwicklung entgegengestellt, nach dem sich ein adäquates Verständnis der A. erst dann entwickelt, wenn die Einstellungen der Selbstaufopferung und der Selbstbehauptung in ihrer Einseitigkeit aufgehoben und ein neues Verständnis der Verbundenheit zwischen dem Selbst und den anderen entwickelt wurde.
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LIT:
- C. Gilligan: Die andere Stimme. Lebenskonflikte und Moral der Frau. Mnchen 1984.
Vertrauensvorschuss,Prinzip des
In Bezug auf die in der sprachanalytischen Diskussion entwickelte Theorie der Referenz bzw. Theorie der Kennzeichnung formuliert Putnam neben dem Prinzip der vernünftigen Unwissenheit das Prinzip des V.es Es geht davon aus, dass die Bedeutung eines Wortes bzw. dessen Gebrauch kausal mit der Situation verbunden ist, in der das Wort eingeführt wurde. Eine solche Einführungssituation stiftet eine Verbindung zwischen dem Wort und der Entität, worauf es referiert. Das Prinzip besagt, man solle annehmen, dass ein Sprecher, der ein solches Wort eingeführt hat, selbst dann auf diesen Gegenstand referiert, wenn seine Beschreibung (d.i. die Liste der Kennzeichnungen) dieses Gegenstandes nicht ganz zutreffend ist. Der V. beinhaltet die Unterstellung, der Sprecher würde eine vernünftige Modifikation seiner Liste der Kennzeichnungen akzeptieren. Putnam bezeichnet es als methodologisches Prinzip mit einem deskriptiven und einem normativen Gehalt. Der deskriptive Gehalt zeigt sich in der Annahme, dass wir alle den V. für uns reklamieren, wenn wir diejenigen wären, die einen bezeichnenden Ausdruck einführen (d.i. die sachkundig »Taufenden«) – also beschreibt das Prinzip Intentionen, die wirklich existieren und die von der sprachlichen Gemeinschaft meist berücksichtigt werden. Der normative Gehalt verweist auf die Konsequenzen: Wir sollten das Prinzip berücksichtigen, denn andernfalls wäre eine stabile Referenz auf theoretische Entitäten unmöglich. Das Prinzip des V. wird untermauert durch das Prinzip der sprachlichen Arbeitsteilung. Es besagt, dass die Referenz eines Ausdrucks nicht allein durch das Wissen eines einzelnen Sprechers bestimmt wird. Man gesteht bestimmten Experten aus der Sprachgemeinschaft eine Autorität zu und lässt sie entscheiden, was als Elektron oder was als Gold zählen soll. Der »Experte«, dessen Gebrauch des Wortes bestimmt, worauf andere Personen referieren, wenn sie einen Terminus verwenden, könnte (muss aber nicht) die Person sein, die den Terminus ursprünglich eingeführt hat. Unwissenheit, Prinzip der vernünftigen; Kennzeichnung.
PP
LIT:
- H. Putnam: Sprache und Wirklichkeit. In: Von einem realistischen Standpunkt. Reinbek 1993. S. 54 ff.