Habitus
aristotelisch-scholastisch: erworbene Verhaltensdisposition bzw. Gewohnheit, die ein bestimmtes Verhalten leicht und mit Genuss vollziehen lässt und somit zur »zweiten Natur« des Menschen wird. Ein H. wird erworben durch mehrfache Setzung des entsprechenden Verhaltens und kann langfristig durch konträres Verhalten geschwächt werden. Im Gegensatz zu Affekten und Fähigkeiten sind H. – da vom Träger beeinflussbar – Gegenstände moralischer Beurteilung: Tugenden und Laster sind H. Der tugendhafte Mensch vollzieht moralisch richtige Handlungen mit Leichtigkeit und Freude.
WL
Bourdieu prägt den Begriff des H. in Verbindung mit den Begriffen Lebensstil und Struktur als Schlüsselbegriff seiner Kulturtheorie. Unter H. versteht er einen Zusammenhang von Dispositionen, die dem sozialen Handeln eine einheitliche Struktur geben. In den verschiedenen sozialen und kulturellen Strukturen reproduzieren sich nach Bourdieu ökonomische Verhältnisse. Die für einen spezifischen Typus von Umgebung konstitutiven Strukturen (etwa die eine Klasse charakterisierenden materiellen Existenzbedingungen) erzeugen H.formen, d.h. Systeme dauerhafter Dispositionen (S. 164 f.). Das kulturelle Handeln betrachtet Bourdieu als das historische Produkt und den Ausdruck bestimmter Lebensstile, die jeweils einem bestimmten sozialen und ökonomischen Status entsprechen. Der H. bildet nun diejenige subjektive Struktur, in der die objektiven sozialen und ökonomischen Verhältnisse sich gleichsam verfestigen und so das individuelle Handeln prägen. Die Individuen tragen ihre gegenwärtige wie vergangene Position innerhalb der Sozialstruktur überall und allezeit in Gestalt der H.formen mit sich herum, die erst die soziale Person mit allen ihren Dispositionen ergeben (S. 181). Als Instrument der sozial- und kulturwissenschaftlichen Analyse versteht Bourdieu den H., in Anlehnung an Saussures Strukturbegriff, als eine gegenüber dem individuellen Verhalten objektive, selbständige Struktur von Handlungsweisen und kulturellen Praktiken, durch welche die interpersonalen Beziehungen vermittelt sind.
JH
LIT:
- Aristoteles: Eth. Nic. II 4
- P. Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt 1976
- Thomas v. A.: S.th. I/II 4954
- O. H. Pesch, Thomas v. Aquin. Mainz 1988.