Epoche
bezeichnet ursprünglich (in Anlehnung an astrologische Terminologie) einen signifikanten Punkt innerhalb eines Prozesses, durch den zwei Zeitabschnitte voneinander unterschieden werden können. Der heutige Sprachgebrauch meint mit E. allgemein einen historischen Abschnitt, dessen komplexe Einheitlichkeit durch bestimmte durchgängige Merkmale charakterisiert ist (Ära). Aus der bewussten Bezugnahme auf das Altertum in der Frühen Neuzeit und der Klassifizierung der dazwischen befindlichen E. als Zwischenphase leitet sich das gängige (europaspezifische) Epochenschema Antike – MA. – Neuzeit her. Ferner können unter Bezugnahme auf historische (z.B. politische Stabilisierung in der Karolingischen Renaissance, Franz. Revolution) oder ästhetische (z.B. Epochenstile in Architektur, Literatur, Malerei) Kriterien untereinander konkurrierende Epocheneinteilungen vorgenommen werden, die sich nicht zur Deckung bringen lassen. Allgemein kann in E.n gegliederte Geschichte durch eine gleitende Abfolge von Stabilisierungs- und Umbruchsphasen, den Epochenschwellen (Blumenberg), beschrieben werden. Die Einheit einer E. ist weniger Konstrukt der Rezeption; vielmehr wird in der historischen Entwicklung Epochenbewusstsein bei Zeitgenossen dadurch hervorgerufen, dass Neues nicht mehr in einen als konstant empfundenen Bezugsrahmen eingeordnet werden kann. Dieser Konflikt führt zu einem Kontinuitätsbruch, aus dem miteinander konkurrierende Neukonzeptionen hervorgehen, und schließlich zur Ersetzung des etablierten Rahmens. Dieser Vorgang kann wissenschaftshistorisch als ein Wechsel des wiss. Paradigmas (Kuhn) verstanden werden. E.n lassen sich nur dann ausmachen, wenn dieser Übergang nicht zu einer Modifikation, sondern zu einer Substitution des vorhandenen Paradigmas führt.
MSP
LIT:
- H. Blumenberg: Aspekte der Epochenschwelle: Cusaner und Nolaner. Frankfurt 31985
- R. Herzog/R. Koselleck (Hg.): Epochenschwelle und Epochenbewusstsein. Mnchen 1987
- W. Neuser: Natur und Begriff. Stuttgart/Weimar 1995.
Epoché,skeptische
abgeleitet von griech. epechein: innehalten, sich einer Sache oder Tätigkeit enthalten. Als philosophischer Begriff vermutlich durch Pyrrhon von Elis (ca. 360–270 v. Chr.) geprägt, geläufig geworden in seiner Verwendung durch die neuere platonische Akademie. E., deutsch zumeist mit »Urteilsenthaltung« (engl. suspension of judgment) wiedergegeben, bezeichnet nach Sextus Empiricus’ Definition »ein Stillstehen des Verstandes, durch das wir weder etwas aufheben noch setzen«. Die E. wurde in der Antike als wesentliches Kennzeichen des Skeptizismus betrachtet, so dass man dessen Vertreter »sich des Urteils über alles Enthaltende« nannte. Auch in späterer Zeit ist E. häufig als zentraler skeptischer Begriff verstanden worden, so etwa bei Montaigne und Kierkegaard, im Rahmen neuerer Verteidigungen des Skeptizismus z.B. bei A. Naess. – Die E. wird jedoch auf zwei sachlich prinzipiell verschiedene Weisen gedeutet: einmal als (unwillkürliche) Erfahrung, zum anderen als Entscheidung. Wird E., wie vor allem im Skeptizismus der platonischen Akademie und bei Kierkegaard, als Entscheidung begriffen, müssen Gründe für sie aufgeboten werden. Eine Begründung der E. in Bezug auf p kann z.B. folgendermaßen lauten (nach Ciceros Academica): ›Sowohl für als auch gegen p spricht etwas. Da sich nun wahre Vorstellungen nicht von falschen unterscheiden lassen und es geboten ist, Irrtümer zu vermeiden, ist es folglich geboten, sich des Urteils bezüglich p zu enthalten.‹ Insofern jede derartige Begründung ihrerseits Urteile enthält, lässt sich umfassende E. auf diese Weise jedoch nicht erreichen. Anders liegt der Fall im antiken Pyrrhonismus. Dort wird die E. als etwas aufgefasst, das dem Einzelnen bei einem bestimmten Stand der Argumentation – nämlich dem Gleichgewicht von Pro und Contra einer Frage (Isosthenie) – widerfährt, also als Erfahrung oder Erlebnis (pathos). Die argumentative Anstrengung der Pyrrhoneer ist darauf gerichtet, das Erlebnis der E. bezüglich jeder Sachfrage herbeizuführen (Tropen, skeptische), was nicht in destruktiv-theoretischer, sondern in konstruktiv-praktischer Absicht geschieht, da die Pyrrhoneer erfahren haben, dass sich als »Schatten« der E. Glückseligkeit (Eudaimonie) einstellt.
AE
LIT:
- Cicero: De Natura Deorum. Academica. Lat.-Engl. Transl. by H. Rackham. London 1956
- S. Kierkegaard: Philosophische Brocken. bers. v. L. Richter. Frankfurt 1988
- A. Naess: Scepticism. London/New York 1969. – Sextus Empiricus: Grundri der pyrrhonischen Skepsis. bers. v. M. Hossenfelder. Frankfurt 52002.
Epoché,phänomenologische
Mit diesem Terminus bezeichnet Husserl einen methodischen Schritt der phänomenologischen Reflexion: E. bedeutet, dass die mit dem Alltagsbewusstsein (d.i. »natürliche Einstellung«) verbundene Annahme der fraglosen Gültigkeit dessen, was wir für die Wirklichkeit halten, zunächst außer Kraft gesetzt wird. Mit der Aufhebung ihrer Seinsgeltung werden auch die auf die gegenständliche Welt bezogenen Seinssetzungen, d.i. alle materialen Bestimmungen (und theoretischen Vermeinungen) eingeklammert. Geht man mit Husserl von dem Korrelationsapriori von Bewusstsein und (als etwas vermeintem) Gegenstand aus, dann hat die Einklammerung der E. zur Konsequenz, dass sich der Blick auf das verbleibende Korrelat, nämlich das reine Bewusstsein, richtet und zum Thema der Reflexion macht. Damit ist nach Husserl die phänomenologische Einstellung erreicht. Durch diesen methodischen Schritt wird zudem erreicht, dass für die Thematisierung des Bewusstseins keinerlei vorgängiges empirisches Wissen verwendet wird, dessen Geltung durch die phänomenologische Reflexion erst ausgewiesen werden soll.
PP
LIT:
- E. Husserl: Ideen zu einer reinen Phnomenologie und phnomenologischen Philosophie. Hua III/1. 31 f
- E. Strker: Das Problem der Epoch in der Philosophie Edmund Husserls. Dordrecht 1970.