Philosophie,christliche
lässt sich als Terminus inhaltlich kaum füllen. Relativ unproblematisch ist das Wort in Abgrenzung zu philosophischen Strömungen außerchristlicher Kulturkreise (etwa zur arabischen des MA.). Vor der wissenschaftstheoretischen Trennung von Theologie und Philosophie im Hoch-MA. kann die Philosophie ab der Patristik als ch. Ph. insofern bezeichnet werden, als sie Themen aus der christlichen Offenbarung mitbedenkt (z.B. Schöpfung, Geschichte, Gottesebenbildlichkeit des Menschen) und selten eine Grenze zwischen Theologie und Philosophie zieht. Ch. Ph. bleibt ein problematischer Begriff, der sich nur schwer gegen die Vermischung mit der (Fundamental- oder auch Moral-)Theologie sichern lässt. Ch. Ph. erscheint damit nicht nur der Philosophie in der Frage der Voraussetzungslosigkeit suspekt, auch Strömungen der Theologie (z.B. die dialektische) achten sorgsam auf die Grenzziehung zwischen menschlichem Denken und göttlicher Offenbarung.
Entscheidend ist die Frage, in welcher Hinsicht eine Philosophie »christlich« genannt werden soll: Ob damit eine weltanschauliche Festlegung gemeint ist, die Übernahme bestimmter Themen, die Behauptung inhaltlicher Positionen oder nur auf die Konfessionsangehörigkeit des Autors angespielt wird. Dabei kann gedacht sein an (a) ein Denken, das keine Inhalte des Glaubens übernimmt, aber einem besseren Verständnis desselben dient, etwa als philosophische Klärung der gundlegenden weltanschaulichen oder methodischen Fragen (z.B. bei Newman), (b) eine »reine« Philosophie, deren Autoren sich weltanschaulich dem Christlichen verbunden fühlen – so bei D. v. Hildebrand, der ausdrücklich seine religiösen von den philosophischen Schriften abhebt, (c) eine ch. Ph., deren Inhalte sich aus der Offenbarung oder deren Entfaltung in der christlichen Tradition speist – etwa A. Dempfs ch. Ph., der als solche Lehren anführt: Schöpfung, Freiheit, Gewissen, Unsterblichkeit, Menschheitsgeschichte, (d) im katholischen Raum zeitweise als philosophia perennis gehandelte Philosophie des Aristoteles und Thomas und die sich darauf berufende Neuscholastik.
PK
LIT:
- A. Dempf: Christliche Philosophie. Bonn 21952
- J. Friese: Die skularisierte Welt. Frankfurt 1967
- J. Maritain: La philosophie chretienne. Paris 1933.
Philosophie,indische
Da Indien drei Hochreligionen hervorgebracht hat, ist die i.Ph. zunächst nach diesem Gesichtspunkt zu gliedern: Hinduismus, Buddhismus und Jainismus, wobei man den orthodoxen hinduistischen Denkschulen (Brahmanismus, Systeme, indische) Buddhismus, Jainismus (und Materialisten, Lokāyata) gegenüberstellt, die im Gegensatz zu jenen den Veda (Veden) nicht als Autorität anerkennen. Neben Logik, Epistomologie, Ontologie, Kosmologie u. a., hat die i.Ph. ein existentielles Interesse an religiösen Fragestellungen, deren wichtigste die nach der Erlösung (Mokṣa) ist. Voraussetzung für Erlösung ist, dass alle indischen religiösen und philosophischen Systeme – außer den Materialisten (Lokāyata) – eine Wiedergeburt lehren, ohne dabei unbedingt darin übereinzustimmen, was denn wiedergeboren wird: Während die meisten Systeme eine den Tod überdauernde, individuelle Substanz, eine Seele (Jīva, Ātman) lehren, lehnt der Buddhismus, auch wenn er in bestimmten Ausprägungen der Vorstellung einer Seele sehr nahe kommt (Pudgalavāda Mahāyāna), die Existenz einer Seele, die den dauerhaften Kern der individuellen Persönlichkeit ausmacht, strikt ab (anātman-Lehre). Die Verbindung zwischen Wiedergeburt und Erlösungsstreben schafft wiederum die Vorstellung, dass dieser eigentlich ewige Geburtenkreislauf (Saṃsāra) qual- und leidvoll sei, und dass es darauf ankommt, einen Weg finden, der es ermöglicht, aus diesem auszuscheiden. Was ursprünglich eine sehr konkrete Angelegenheit war, nämlich das Verlangen nach materiellem Wohlstand und Heil im Diesseits durch entsprechend wirksame Opferwerke (Karma), wird in Verbindung mit der Wiedergeburtslehre moralisch-kausalistisch umgedeutet in das Prinzip, dass das Verhalten und die Taten (Karma) in diesem (oder in vorangegangenen) Leben bestimmend sind dafür, in welcher Existenz man in der folgenden Existenz geboren wird oder wie schnell man zur Erlösung kommen kann. Von einer reinen Werkgerechtigkeit unterscheidet sich die Karma-Theorie jedoch dadurch, dass Erlösung nicht dadurch erreicht wird, dass man gutes Karma anhäuft, sondern dadurch, dass das alte Karma aufgezehrt und kein neues mehr produziert wird. Dies kann erreicht werden entweder durch die Hingabe an eine bestimmte Gottheit (Bhakti), wobei diese dann aktiv in den Erlösungsprozess eingreift; die andere Möglichkeit besteht jedoch in der Erkenntnis der grundlegenden religiösen oder philosophischen Wahrheit, die häufig nicht auf rational-logischem Weg gewonnen werden kann, sondern durch Intuition; durch diese wird die die Erlösung hindernde und an den Samsāra fesselnde Unwissenheit (Avidyā) aufgehoben. Der Weg zu dieser intuitiven Erkenntnis führt dann meist über meditative (Meditation) und asketische (Tapas) Praktiken. In fast allen philosophischen Systemen kommt zusätzlich der Erkenntnis eines Unterschied zwischen empirischer Erfahrung und transzendenter Wirklichkeit (Ātman-Brahman-Konzeption, Advaita, Puruṣa-Prakṛti, Sūnyatā Mādhyamika) eine wesentliche Bedeutung auf dem Weg zur Erlösung zu, die mittels Meditation erreicht werden kann. In den meisten Denkschulen nimmt das Verhältnis des Geistes als Seelenmonade oder Urgrund und letzte Wirklichkeit zur Materie hierbei eine wichtige Stellung ein; lediglich für den Materialismus und den Buddhismus, der ja sowohl eine individuelle wie auch eine kosmische geistige und ewige Entität leugnet, ist diese Frage sekundär. Der Buddhismus legte besonderen Wert darauf zu erklären, nach welchen Kausalitäten die Welt funktioniert und wie man sich diese Kausalitäten auf dem Weg zur Erlösung zunutze machen kann. Dabei werden sowohl die Objekte der Außenwelt als auch subjektive Persönlichkeit selbst, die ja nach buddhistischer Auffassung kein Ganzes ist und keinen Wesenskern hat, analysiert und kategorisiert. Diesen Hang zum Zerlegen der materiellen und geistigen Welt in einzelne Bestandteile und Kategorien und dem Feststellen von deren Zusammenhang und Zusammenwirken findet man auch im Jainismus und in einigen indischen Systemen (Nyāya, Sāṃkhya, Vaiṣesika). Historische Entwicklung: Die ältesten philosophischen Fragmente findet man in den jüngeren Partien des Rgveda (Veden) (X. Maṇḍala) im Bereich der Kosmogonie, indem z.B. hinterfragt wird, was denn eigentlich vor dem Seienden und dem Nichtseienden gewesen sei (X, 129). Philosophisches Denken erwächst in Indien also auf dem Boden des vedischen Brahmanismus, dem Vorläufer des Hinduismus. Zur Zeit der Brāhmaṇas, einer Masse ritual-exegetischer Texte, entstehen zahlreiche Spekulationen über die mikrokosmisch-makrokosmischen Zusammenhänge und Identifikationen von Opfer und Kosmos. Aus ihnen heraus entwickeln sich die philosophischen Ansätze der Upaniṣaden, in denen die Vorstufen des Idealismus des späteren Vedānta sichtbar werden. Die Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr. war eine sehr fruchtbare Zeit für die Entwicklung der indischen Philosophie; mit dem Entstehen von städtischer Kultur und den ersten Großreichen kommt es in Nordindien – u.a. aus den Kreisen des Kriegerstandes (kṣatriya) – zur Herausbildung neuer religiöser, sozialer und philosophischer Ideen, die mit der brahmanischen Tradition in mehr oder weniger starkem Maße brechen: Nichtanerkennung des Veda als letzte religiöse und philosophische Autorität und des Kastensystems als soziale Gegebenheit (Jainismus), sowie das Leugnen einer Seele (Buddhismus) oder einer sittlichen Weltordnung wie der Karma-Lehre bei den Materialisten (Lokāyata). Eine weitere Blüte erlebt die i. Ph. im ersten Jahrtausend n.Chr., in dem die religiösen Bhakti-Bewegungen hervortreten, die buddhistischen Schulen ihre Blütezeit hatten (Mahāyāna, Mādhyamika) und sich darauf die brahmanische Gegenreformation (Vedānta, Advaita) herausbildete. Mit der Eroberung Nordindiens durch den Islam (1206) verschwindet der Buddhismus in Indien fast völlig von der Bildfläche und die traditionelle Philosophie war weitgehend auf die hinduistischen Reiche des Südens beschränkt. Vorherrschend waren bis zum Einbruch abendländischer, v.a. naturwissenschaftlicher und politisch-ideologischer Gedanken durch die britische Kolonialisierung (ab 18. Jh.) die Schulen der śivaitischen oder viṣṇuitischen Sekten oder des Vedānta.
MD
LIT:
- S. Dasgupta: A History of Indian Philosophy. 5 Bde. Oxford 1922 (Nachdr. Delhi)
- P. Deussen: Allgemeine Geschichte der Philosophie. Leipzig 1920 ff
- E. Frauwallner: Geschichte der indischen Philosophie. 2 Bde. Salzburg 195356
- H. v. Glasenapp: Die Philosopie der Inder. Stuttgart 31974
- W. Halbfa: Einfhrung in die Indologie. Darmstadt 21993. S. 138 ff
- Ders.: Tradition and Reflection: Explorations in Indian Thought. Albany 1991
- B. Heimann: Studien zur Eigenart indischen Denkens. Tbingen 1930
- M. Hiriyanna: Vom Wesen der indischen Philosophie. Mnchen 1990
- H. Nakamura: Religions and Philosophies of India: A Survey with Bibliographical Notes. Tokyo 1974
- K. H. Potter (Hg.): The Encyclopedia of Indian Philosophies. 5 Bde. Delhi 1974 ff. (Band 1: Bibliographie, 21983)
- Ders.: Presuppositions of Indias Philosophies. Delhi 1991
- S. Radhakrishnan: Indische Philosophie. Baden-Baden 1955
- P. Ruben: Geschichte der indischen Philosophie. Berlin 1954
- O. Strau: Indische Philosophie. Mnchen 1925
- H. Zimmer: Philosophie und Religion Indiens. Frankfurt 1973
- Textanthologien: H. v. Glasenapp: Indische Geisteswelt. Bd. 1. Hanau 1986
- J. Mehlig: Weisheit des alten Indien. 2 Bde. Mnchen 1987.
Philosophie,analytische
Der Begriff wird nicht einheitlich verwendet, teilweise wird er gleichgesetzt mit analytischer Sprachphilosophie, teilweise mit Wissenschaftstheorie. Eine pragmatisch begründete Unterscheidung wäre derart vollziehbar, dass »Wissenschaftstheorie« als Bezeichnung für jene Überlegungen vorbehalten bleibt, die sich unmittelbar auf die Untersuchung der Probleme wissenschaftlicher Erkenntnis beziehen. Eine Trennunschärfe ergibt sich allerdings auch dann noch, da der sprachlogische Aspekt, d.h. die logisch semantischen und syntaktischen Analysen natürlicherweise auch eine Rolle spielen bei der Klärung der Wissenschaftssprachen. Der a.n Ph. liegt die empiristische These, dass alle Erkenntnis auf Erfahrung beruhe und dass alles Wissen um die uns umgebende Realität sich auf Erfahrung stützen muss, zugrunde. Der Ausdruck »Erfahrung« seinerseits beinhaltet eine Vielfalt von Problemen, um deren Klärung sich die a. Ph. wie die Wissenschaftstheorie gleichermaßen bemühen. Ein erster Problemkomplex behandelt die Fragen, die sich mit der wissenschaftlichen Begriffs- und Theoriebildung befassen. Das seitens des Logischen Empirismus eingebrachte Kriterium der empirischen Signifikanz verlangt eine Klärung, welchen Begriffen ein empirischer Gehalt zugesprochen werden kann. In diesem spielen die Fragen nach dem Verhältnis zwischen Beobachtungssprache und theoretischer (Wissenschafts-)Sprache eine besondere Rolle. Zu dem Bereich der Begriffsbildung gehören Definitionslehre und Axiomatisierung erfahrungswissenschaftlicher Theorien, ebenso die Theorie der Begriffsformen und die Lehre von der Begriffsexplikation. Ein zweiter großer Problemkomplex behandelt diejenigen Fragen, die für die Prüfung, Begründung und Bestätigung erfahrungswissenschaftlicher Theorien von besonderer Relevanz sind: Das Induktionssproblem, das Problem der Gesetzesartigkeit, die Überprüfung wissenschaftlicher Hypothesen. In einem dritten Problemkomplex werden Formen der Erklärung und verschiedene Erklärungsbegriffe thematisiert und wird die Frage der wissenschaftlich adäquaten Erklärungsart aufgeworfen.
PP
LIT:
- P. Prechtl (Hg.): Grundbegriffe der analytischen Philosophie. Stuttgart/Weimar 2004.
Philosophie,ionische
Sammelbezeichnung für diejenigen Vertreter der vorsokratischen antiken Philosophie, die im 7. und 6. Jh. in den griechischen Pflanzstädten der kleinasiatischen Westküste (Ionien) lebten und deren Werke uns nur noch fragmentarisch überliefert sind. Zu ihnen werden in erster Linie die Milesier Thales (ca. 624–547), Anaximander (ca. 610–550) und Anaximenes (ca. 575–525) gezählt. Schon nach antiker Tradition galten diese mit ihrer Grundfrage nach der Arche, dem einheitlichen Urprinzip bzw. Urstoff, aus dem die Vielfalt der sinnlich wahrnehmbaren Phänomene erklärend abgeleitet werden sollte, als die Begründer der Naturphilosophie. Während Thales und Anaximenes von einem materialem Urstoff ausgingen – jener vom Element Wasser, dieser von dem der Luft, aus der durch Verdichtung und Verdünnung alle anderen Elemente entstehen sollten –, nahm Anaximander ein unvergängliches Unbegrenztes (Apeiron), das mittels einer rational erfassbaren Gesetzmäßigkeit verfährt, als abstraktes Erklärungsprinzip an. Rückblickend gesehen besteht die wissenschaftliche Leistung der milesischen Naturphilosophen weniger in den inhaltlichen Antworten, die sie formulierten, als formal in ihren methodischen Einsichten (hier ist vor allem an die dem Thales zugeschriebene Entdeckung der Möglichkeit des theoretischen Satzes und des Beweises innerhalb seiner geometrischen Überlegungen zu denken, die das Vorbild für philosophisch-begründendes Denken lieferten) und in ihrem grundsätzlichen Ansatz: Im Gegensatz zu und in Abhebung von der ihnen vorausgehenden narrativen Welterklärung des Mythos ersetzten sie dessen Vielzahl von konkreten, individuellen und meist personifizierten Erklärungsgründen und -instanzen durch die Angabe eines abstrakten (oder zumindest abstrakteren) Prinzips (so wird z.B. – was schon Aristoteles bemerkt hat – im Falle Thales’ der personifizierte Meeresgott Okeanos der mythischen Kosmogonie durch den Urstoff Wasser ersetzt). Damit bilden sie nicht nur den Anfang der griechischen Philosophie, sondern zugleich den Beginn des spezifisch abendländischen Projekts wissenschaftlicher Rationalität. – Aufgrund ihrer geographischen Herkunft werden manchmal auch noch Xenophanes von Kolophon (ca. 570–475/70) und Heraklit von Ephesos (ca. 536–470) zur i. Ph. gerechnet, was in der Regel dazu führt, die naturwissenschaftlichen Teile ihrer Werke in den Vordergrund zu rücken: Dann sieht man in Xenophanes weniger den Kritiker des anthropomorphen Götterglaubens als vielmehr den Vertreter der Lehre des unveränderlichen göttlichen Einen, der damit zum Lehrer des Parmenides und zum Begründer der eleatischen Philosophie wird, und in Heraklit den Vertreter des Feuers als Urstoff im Sinne der Milesier.
JV
Philosophie,chinesische
neben der indischen und westlich-abendländischen eine der drei großen autochthonen Weltphilosophien. Auch sie hat die Erträge der denkenden Erfahrung über den Menschen, die Welt und den Ursprung und das Wesen aller Dinge in Schriftwerken fixiert, so dass sie sich in den historisch überschaubaren Epochen in großer Kontinuität als Einheit von Klassikerauslegung und Reflexion neuer Welterfahrung entfaltet. Ihre Geschichte wird von den Chinesen selbst in die Epochen der Dynastien des Reiches der Mitte gegliedert. Die Anfänge liegen in der Epoche der Zhou-Dynastien (11. Jh.–256 v. Chr.), innerhalb derer die »Frühlings- und Herbstzeit« (770-476) sowie die »Zeit der Streitenden Reiche« (475-221) mit den Gründerfiguren Lao Zi, Kong Zi u. a. eine erste Hochblüte, vergleichbar der vorsokratischen abendländischen Gründungsphase, brachte. Nach der kurzen, durch ihre Büchervernichtungen unrühmlichen Qin-Dynastie (221-207) bildet die Han-Zeit (206 v. Chr.–220 n. Chr.) – ebenso wie im Abendland die Zeitenwende – die absolute Achsenzeit für das staatliche und kulturelle Selbstverständnis Chinas: Sie bringt die Reichseinheit, eine vielfältige Blüte der Kultur in allen Bereichen und geradezu eine Explosion philosophischer Schulen, darunter auch das Eindringen des Buddhismus von Indien aus. Von daher verstehen sich die Chinesen bis heute als »Han-Menschen« und genuin chinesische Kultur gilt als »Han-Kultur«, so wie das Abendland sich traditionell als das »christliche« verstanden hat. In dieser Epoche etabliert auch der Konfuzianismus (Ru Jia) seine dominierende Stellung in Staat und Kultur, so dass diese nachmals so wesentlich als schlechthin konfuzianisch gelten konnten, vor allem vom Ausland her gesehen. Unter den mehr als zwei Dutzend Dynastien nach den Han ragen nur noch einige wenige als Epochen kultureller und philosophischer Blüte hervor. Hier sind zu nennen die Südlichen und Nördlichen Dynastien (Nan Bei Chao, 420–589), vergleichbar unserer Spätantike und Patristik, in der der Antibuddhist und Materialist Fan Zhen hervorragt; die Tang-Zeit (618–907), vergleichbar unserer Frühscholastik, in welcher einerseits der Buddhismus seine größte Blüte erlebte, andererseits Han Yu und Liu Zong-yuan mit dem Alte-Schrift-Stil dem Konfuzianismus sein philologisch-historisch gesichertes Fundament schufen; die Song-Zeit (960–1279), eine chinesische Hochscholastik, die wie die unsere durch den Kampf zwischen idealistischen und realistisch-materialistischen Metaphysiken gekennzeichnet ist – auf der idealistischen Seite die Brüder Cheng Hao und Cheng Yi sowie Zhu Xi und Lu Jiu-yuan – auf der materialistischen Seite Zhang Zai und Cheng Liang – aber auch mit bedeutender Weiterbildung des Daoismus wie bei Zhou Dun-yi; die Ming-Zeit (1468–1644) während unserer Renaissance mit ebenso bedeutenden Vermittlern des Alten und zugleich Neuerern wie Wang Shou-ren (Wang Yang-ming), Wang Gen, Wang Ting-xiang, Chen Que und Liu Zong-zhou; die Qing-Zeit (1644–1911) als chinesische Moderne mit Yan Yuan, Tan Si-tong, Kang You-wei, Zhang Bing-lin und auch Sun Zhong-shan (Sun Yatsen), dem Begründer der Republik (1912-1949), während der China sich mit den westlichen Ideen vertraut machte und zu manchen west-östlichen Ideensynthesen gelangte; schließlich die Zeit der Volksrepublik (ab 1949) mit ihrer antikonfuzianischen Kulturrevolution und ihrem mao-marxistischen Synkretismus, der heute auf dem Prüfstand steht, wie weit er sich durch Renaissancen genuin chinesischer Gedankenpotentiale und westlicher Ideenzuflüsse in einer neuen Weltlage erhalten kann.
Die disziplinäre Entfaltung der chinesischen Philosophie ist das Werk der Schulen und Richtungen, die mit ihrem jeweils spezifischen Interesse für einzelne Wirklichkeitsbereiche zugleich eine »enzyklopädische« Architektonik dessen entwarfen, was in China als Gegenstand gelehrter Wissenschaft gelten konnte. Schon in der Zeit der Streitenden Reiche sprach man – für damals gewiss übertreibend – von »hundert Schulen« (Bai Jia), aber in der Han-Zeit etablierte sich – in der Bibliographie (im Han Shu, Yi Wen Zhi, Geschichte der Han, Literaturbibliographie, des Ban Gu), im Bibliothekswesen und seinen Katalogen, die bis heute kanonisch blieben – ein System der »neun Schulen«. Es sind die Folgenden: (1) Ru Jia bzw. Konfuzianer im Anschluss an Kong Zi, Meng Zi und Xun Zi; (2) Dao Jia bzw. Daoisten (Taoisten) im Anschluss an Lao Zi und Zhuang Zi; (3) Mo Jia bzw. Moisten (Mohisten) im Anschluss an Mo Zi; (4) Ming Jia bzw. Logiker (»Namen-Schule«, oft auch als »Sophisten« bezeichnet) im Anschluss an Hui Shi und Gong-sun Long; (5) Yin Yang Jia bzw. Naturphilosophen (Yin Yang-Schule) im Anschluss an Zou Yan; (6) Fa Jia bzw. Legisten (»Rechtsphilosophen«) im Anschluss an Shang Yang, Shen Bu-hai, Shen Dao und besonders Han Fei; (7) Zong Heng Jia bzw. Politikphilosophen (Diplomaten der »senkrechten« und »waagerechten« Allianzen) im Anschluss an Su Qin und Zhang Yi; (8) Za Jia bzw. Eklektiker im Anschluss an Lü Bu-wei bzw. an das Huai Nan Zi-Klassikerwerk des Liu An; (9) Nong Jia bzw. Landwirtschaftsschule im Anschluss an Xu Hang.
Der gemeinsame Denkhintergrund aller dieser Schulen, gleichsam ihr ursprüngliches Ideenarsenal, liegt in den ältesten Schriftdokumenten Chinas, die von Kong Zi redigiert und zu den »fünf Klassikerschriften« (Wu Jing; sie wären besser als »Heilige Schriften« anzusprechen und sind an Rang auch nur mit der »Bibel« zu vergleichen) zusammengestellt worden sind. Es handelt sich dabei um das Buch der Wandlung (Yi Jing), das Buch der Dokumente (bzw. der Geschichte, Shu Jing), die Frühlings- und Herbstannalen (Chun Qiu, Chronik des Fürstentums Lu), das Buch der Gedichte (Shi Jing) sowie das Buch der Sitten (Li Ji). Die beiden Geschichtswerke enthalten auch Philosophiegeschichtliches, das Yi Jing wurde schon im ältesten Kommentar (Yi Zhuan) als kosmogonische Spekulation gedeutet, das Shi Jing wurde ästhetischer Kanon und immer wieder auch metaphorisch ausgelegt, und das Li Ji mit seinen Hauptbestandteilen Große Lehre (Da Xue) und Mitte und Maß (Zhong Yong) wurde zum durch den »mos maiorum« illustrierten Moralkodex Chinas. Neben diesen gewann nur noch das Buch von Dao und seinen Wirkungen (Dao De Jing) ein vergleichbares Ansehen und historische Nachwirkung (und es bleibt auch zweifelhaft, ob es angesichts seines metaphysischen Tiefsinns, spekulativen Raffinements und einiger Widersprüche das Werk eines einzigen Denkers – Lao Zi – und nicht vielmehr einer langen Denktradition sein kann). Auch die Buddhisten nannten ihre Übersetzungen der indischen buddhistischen Klassikerschriften durchweg Jing, aber es gelang ihnen nur zeit- und teilweise, sie in den Ideenkommerz der Schulen einzubringen, dies vor allem durch Verschmelzungen mit dem Daoismus. Obwohl einige dieser Schulen ein bestimmtes Jing zu ihrem Kultbuch machten und sich von daher »dogmatisch« definierten, waren doch die Grundbegriffe und Denkfiguren aller Jing gemeinsamer Besitz aller Schulen, freilich in jeweils spezifischer Schulauslegung. Das gilt für Li (Sitte) der Kunfuzianer, Fa (Gesetz) der Legisten, Yin und Yang der Naturphilosophen, Ming (Name, Begriff) der Logiker ebenso wie für das Dao der Daoisten.
Der Ausbau des Diziplinensystems ging ineins mit dem Niedergang und Verschwinden einzelner Schulen und dem Ausgreifen gelehrter Beschäftigung auf neue Gebiete, in der Neuzeit vor allem auch mit dem Import westlicher Wissenschaften, denen man genuin chinesische Disziplinen an die Seite stellte. Der Katalog des im 18. Jh. (1766 ff.) auf kaiserlichen Befehl veranstalteten Druckes der »Vier Bibliotheken aller Bücher« (Si Ku Quan Shu, 3460 Bände) kann hierzu als verbindlicher Anzeiger gelten. Seine vierteilige Gesamtgliederung umfasst noch immer nach den alten Vorlagen Klassiker bzw. »Heilige Schriften« (Jing), Geschichtswerke (Shi), Denker (Zi) und Sammelwerke (Ji). Die hier interessierende dritte Abteilung der Zi enthält ihrerseits noch immer die Denkerschulen, damit zugleich aber auch die philosophischen Disziplinen (die noch mit »Wissenschaften« identisch sind). Es sind nun die Folgenden: (1) Ru Jia (Konfuzianer), (2) Bing Jia (Militärwesen, »Strategen«), (3) Fa Jia (Legisten), (4) Nong Jia (Landwirtschafts-Ökonomen), (5) Yi Jia (Mediziner, Pharmazeuten), (6) Tian Wen (Astronomie, wörtl. »Himmelsprobleme«, (7) Shu Shu (Mathematik und Methodenlehre), (8) Yi Shu (Bildende Kunst, Kalligraphie), (9) Pu Lu (Musik- und allg. Ästhetik), (10) Za Jia (Eklektiker), (11) Lei Shu (Sammel- und Gesamtausgaben verschiedener Gattungen), (12) Xiao Shuo Jia (Literatoren), (13) Shi Jia (Buddhisten), (14) Dao Jia (Daoisten).
Dieses Schulen- bzw. Disziplinenschema hat für die chinesischen Vorstellungen von dem, was Philosophie sein konnte, zumindest soviel Prägekraft gehabt, wie es das aus dem Platonischen Bildungskanon der »freien Künste« entwickelte Disziplinenschema der trivialen und quadrivialen Disziplinen der Philosophischen Fakultät für unseren Philosophiebegriff (oder die Begriffe davon) bewiesen hat. Beide lassen verständlich erscheinen, dass der gelehrte Philosoph auf vielen und sehr diversen Gebieten, wenn vielleicht auch schwerpunktmäßig, kompetent sein musste. Es ging immer darum, die Ideen der Schule auf dem betreffenden Gebiet zur Problembewältigung anzuwenden. Der sog. Theorienpluralismus verdankte sich dabei immer gerade dem Einfluss der leitenden Ideen verschiedener Schulen. Ersichtlich war es aber in China eine alte, im Westen ist es eine neue Erscheinung, dass sich philosophische Schulrichtungen ihrerseits aus der metaphysischen Hochstilisierung und Totalisierung des Ideen- und Einsichtenpotentials einzelner Diziplinen (oder Einzelwissenschaften) herleiten lassen, wie man am Physikalismus und Mathematizismus des Wiener Kreises, am Biologismus der Lebensphilosophie, am Linguistizismus der Common- und Ideal-language-philosophy neueren Datums sehen kann.
Ein disziplinär so weitgespannter Philosophiebegriff, der noch bis ins 18. Jh. als selbstverständlich gelten konnte, ist heute durch ein eher positivistisches Philosophieverständnis abgelöst worden, das Philosophie als Fach unter Fächern begreift. Da wird Philosophiegeschichtsschreibung zur Dogmatik dessen, was als philosophische Strömung, als Parteiung, als Werk und wer als philosophischer Denker angesehen werden kann, in China nicht anders als im Westen. Versuchen wir eine vergleichende Einschätzung als Verständnishilfe.
China hat drei Großideologien entwickelt: den Konfuzianismus, den Daoismus und den Buddhismus. In ihren Rahmungen entfalten sich die (mehr als) »hundert Schulen« (Bai Jia) und Parteiungen (Xue Pai) als deren Epochengestalten, als Extremalisierungen ihrer metaphysischen Prinzipien, aber auch als Synkretismen und Verschmelzungen. Als realistische (zuweilen auch materialistische) Seinsphilosophie und kulturgestaltende »naturrechtliche« (dem Naturrecht entspricht in China Li, Sitte) praktische Philosophie kann man den Konfuzianismus am ehesten mit der vereinigten Wirkungsmächtigkeit des Aristotelismus und des Stoizismus im Abendland vergleichen. Er ist die Hintergrundsphilosophie der Institutionen, eines solidarischen Menschenbildes und einer optimistischdiesseitigen Lebenseinstellung. Der Daoismus ist seine platonisch-neuplatonische Alternative. Er ist die Philosophie eines »geistigen« Hintergrunds der diesseitigen Welt, den er als Dao (oft als Übersetzung des abendländischen Gottesbegriffs verwendet), und seine Wirkmächte (De, Tugend) benennt, aber auch (wie die negative Theologie) als reines Nichts (Wu) bestimmt. Er ist esoterisch, elitär und anti-institutionell, seine Metaphysik idealistisch, sein Menschenbild ist individualistisch und spiritualistisch. Aus ihm erwuchs China auch seine einzige genuine Religion, die mit rituellem Kultus in Tempeln und Klöstern das Dao anbetet (während in den konfuzianischen und buddhistischen Tempeln nur die Gründer und deren Schüler als »heilige Menschen« verehrt wurden). Der Buddhismus drang im 1. Jahrhundet n. Chr. von Indien in China ein. Dies gelang ihm (anders als im Abendland), weil er sich als die wahre Interpretation und als Fortentwicklung der Dao-Lehre ausgeben und auch so rezipiert werden konnte. Er erklärt das materielle Sein (der Konfuzianer) als illusionäres Leeres (Kong), das Dao der Daoisten als Bewusstsein (Xin), das in meditativer Selbsterkenntnis sich selbst wie den Ursprung aller Dinge als reines Nichts (Wu) offenbart. Metaphysisch ist er als phänomenaler Nihilismus zu charakterisieren. Für sein Menschenbild sind die Ausgestaltungen seiner Bewusstseinslehre bestimmend: Sie reichen vom radikalen Solipsismus bis zu All-Bewusstseinslehren. Entsprechend oszilliert seine Ethik zwischen krassem Egoismus und kollektivistischer Solidarität mit allem Lebendigen. Der philosophische Buddhismus wird in China nach der Anfangssilbe des Namens Shi Jia Mon Ni (Siddharta Gautama) als Shi Jia (Shi-Schule) bezeichnet. Zur weiten Verbreitung in gebildeten Kreisen verhalf ihm vor allem die Schule der »spekulativen Lehre« (Xuan Xue) der Wei- und Jin-Zeit (3. und 4. Jh.), die sowohl Elemente des Konfuzianismus wie auch der Shi Jia mit dem Daoismus verschmolz und insofern zeitweilig als die »katholische« (allumfassende) Philosophie Chinas gelten konnte. Breitenwirksamer wurden aber seine beiden »religiösen« Ableger, die Bo Ruo Xue (Bo Ruo = sankrit: prajna, Weisheit) im Süden und die Chan Zong (Zen-Richtung) im Norden Chinas, deren Dogmatik sich enger an die indischen Klassikerschriften anschloss.
Gewiss haben die historischen Erfahrungen Chinas mit dem Eindringen und der Assimilation des Buddhismus durch »aneignende Interpretation« (Ge Yi) auch die Einstellung der neuzeitlichen Gelehrten gegenüber dem westlichen Denken nachhaltig geprägt: Nur was zu eigenen Denkströmungen passt, wird assimiliert, das Unpassende aber abgestoßen. Auch der Marxismus wurde auf das Da Tong (»Große Gemeinschaftlichkeit«)-Denken der Konfuzianer aufgepfropft, ehe er als Mao-Marxismus zur Staatsideologie werden konnte. Unter seiner Kruste ist auch jetzt noch manche der übrigen Bai Jia recht lebendig.
LG
LIT:
- Wingtsit Chan: A Source Book of Chinese Philosophy. Princeton 41973
- A. Forke: Geschichte der alten (mittelalterlichen und neuen) chinesischen Philosophie. 3 Bde. Hamburg 21964
- Yu-lan Fung: A History of Chinese Philosophy. bers. v. D. Bodde. 2 Bde. Princeton 1983
- L. Geldsetzer/H.-d.Hong: Chinesisch-deutsches Lexikon der Klassiker und Schulen der chinesischen Philosophie. Aalen 1991
- Dies.: Chinesisch-deutsches Lexikon der chinesischen Philosophie. Aalen 1986
- Dies.: Chinesisch-deutsches Lexikon der Klassikerwerke der chinesischen Philosophie. Aalen 1995
- H. Schleichert: Klassische chinesische Philosophie. Frankfurt 21990
- R. Wilhelm (Hg.): Die Philosophie Chinas. Die chinesischen Klassiker. 5 Bde. Kln 1982
Philosophie,feministische
Das Faktum, dass Frauen in allen Lebensbereichen diskriminiert werden, bildet hier den Ausgangspunkt des Denkens. Zu einem Schwerpunkt der Forschung wurde diese Problematik im Kontext der neuen Frauenbewegung, D.h., nach 1968. F.Ph. ist keine einheitliche Theorie, sondern ein Diskurs von mitunter kontroversem Charakter. Gemeinsames Anliegen ist ein Philosophieren am Leitfaden des Interesses an Geschlechtergerechtigkeit. Alle Teildisziplinen des Faches werden aus dieser Perspektive neu durchdacht; facettenreiche Debatten entfalteten sich in der philosophischen Anthropologie, der Rechts-, Sozial- und politischen Philosophie, der Ethik und Ästhetik, der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie sowie in der Philosophiegeschichte.
(1) In historisch-kritischer Hinsicht wird zum einen untersucht, wie weit die bisherige philosophische Tradition zur Herausbildung geschlechterhierarchischer Denk- und Handlungsmuster beigetragen hat. Dabei stehen nicht nur Theorien zur Debatte, in denen die Frau explizit abqualifiziert wird; thematisiert wird auch, dass eine Reihe philosophischer Konzeptionen, die in neutraler Terminologie formuliert sind, asymmetrische Strukturen implizieren. So werden im Denken der Aufklärung die Begriffe ›Freiheit‹ und ›Gleichheit‹ nur auf männliche Bürger bezogen, und die den Gesellschaftsvertrag abschließenden Parteien sind als männliche Haushaltsvorstände bestimmt. Untersucht wird ferner, welche Elemente vorliegender philosophischer Positionen sich als anschlussfähig für eine feministisch motivierte Theoriebildung erweisen. In diesem Sinne konnte an viele Richtungen der Gegenwartsphilosophie angeknüpft werden, z.B. an die Kritische Theorie, die Phänomenologie, die Dekonstruktion – in Verbindung mit ihrem psychoanalytischen Hintergrund –, die Analytische Philosophie und den (Neo-)Pragmatismus. Weitere relevante Differenzierungen erbrachten Rückgriffe auf frühere Perioden der Philosophiegeschichte, u.a. auf antike Autoren, auf Augustinus, Hume, Rousseau, Kant und Hegel sowie auf die Marx’sche Theorie.
(2) In systematischer Hinsicht stellt sich die Frage: Welche Mittel bietet die Philosophie, um die Subordination der Frau kritisch zu analysieren und Möglichkeiten ihrer Überwindung zu entwerfen? Im Bereich der Anthropologie wird die Schlüsselkategorie ›Geschlecht‹ untersucht: Bezugnehmend auf die Unterscheidung ›sex/gender‹ wird die Einverleibung von Geschlechternormen thematisiert; demnach ist der menschliche Körper ab der frühkindlichen Sozialisation kulturell gestaltete Leiblichkeit. – In der praktischen Philosophie lautet die zentrale Frage: Welche normativen Grundlagen lassen sich entfalten, die eine geschlechtergerechte Ausübung politischer Herrschaft und eine entsprechende Gestaltung der institutionellen und ökonomischen Ordnung in Sicht bringen? Entscheidend ist die Forderung, ›Geschlecht‹ als eine Kategorie der sozialen Ordnung gänzlich zu verabschieden. Damit wird ›Gleichheit‹ zu einem Fokus der Forschung; zu den diskutierten Konzeptionen gehören: (formalrechtliche) Gleichstellung, paritätische Partizipation, Chancengleichheit, gender mainstreaming. Auch das Thema ›Arbeit‹ wird neu aufgerollt. Infolge der neoliberalen Globalisierung gewinnt eine internationale Perspektive zunehmend an Bedeutung. Im Blick darauf, dass wirtschaftliche und politische Entscheidungen in den Industrieländern weltweit zu einer Verschärfung von Geschlechterasymmetrien geführt haben, wird eine Präzisierung und verbesserte Umsetzung der Menschenrechte erörtert sowie die Konzeption des empowerment.
HND
Innerhalb der f.n Ph. ist zwischen einem kritischen Feminismus, auch Gleichheitsfeminismus, und einer Theorie der Geschlechterdifferenz, auch Differenzfeminismus, zu unterscheiden. Während der Gleichheitsfeminismus patriarchalische Verhältnisse mit traditionellen Mitteln philosophischer Kritik angeht und so den Ausschluss der Frauen zu beheben versucht, geht es dem Differenzfeminismus darum, den bisherigen Verhältnissen neue, an Frauen orientierte Werte entgegenzusetzen. Eine Femininisierung der Gesellschaft soll vor allem auf der Entwicklung neuer Beziehungen unter Frauen aufbauen. Die Frage danach, was weibliche Werte inhaltlich kennzeichnet, soll zu einer Anerkennung der Geschlechterdifferenz führen, die symbolisch und nicht in erster Linie biologisch zu verstehen ist.
Historisch sowie systematisch lassen sich drei Phasen oder Akzentsetzungen der f.n Ph. unterscheiden: (1) Gleicheitsfeminismus oder humanistischer Feminismus. Dieser fand seinen ersten Ausdruck in der Suffragettenbewegung und dem Kampf um das Frauenstimmrecht. Er schließt sich meist an die politischen Forderungen der Aufklärung an und klagt Emanzipation auch für die Frauen ein. Zentraler Gedanke ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Der Ausschluss der Frauen wird als ein Selbstmissverständnis der Aufklärung verstanden. (2) Differenzfeminismus oder Gynozentrismus. Er rückt die Frauen selbst in den Vordergrund. Seine Kritik am Gleichheitsfeminismus hat folgende Motive: Die Ideale der Aufklärung werden fragwürdig, da sie auf das Bürgertum begrenzt, eurozentristisch und am Eigentum orientiert sind. Aus feministischer Perspektive wird vor allem die Männlichkeit des Rationalitätsverständnisses kritisiert und auf die Gefahr der Anpassung an die bestehende patriarchalische Gesellschaftsordnung hingewiesen, die zu Lasten einer weiblichen Andersheit geht. Diese ist zu bevorzugen, selbst wenn sie in traditionellen weiblichen Lebenszusammenhängen wurzelt. Die Forderung nach Anerkennung eigenständiger Weiblichkeit wird in der Kritik am Gynozentrismus als dessen essentialistischer Hang hervorgehoben (Essentialismusdebatte). Die beiden Phasen unterscheiden sich auch durch ihre unterschiedliche Beantwortung der Frage, wie grundsätzlich eine Befreiung der Frau die bestehende Gesellschaft verändert. (3) Eine dritte Phase soll die Forderungen der beiden vorangehenden Phasen miteinander in Einklang bringen. Einerseits ist das Ziel der Gleichberechtigung innerhalb einer bestehenden Ordnung nicht zu vernachlässigen. Andererseits ist der Differenzfeminismus unerlässlich, um eine formale Gleichheit inhaltlich zu füllen und Alternativen zum Bestehenden entwickeln. Auch wenn es heute als unstrittig gelten darf, dass eine Ordnung der Geschlechter sich keinesfalls ausschließlich auf die Natur berufen kann, so gibt es doch vielfältige Interpretationen dieser gemeinsamen Überzeugung. Die Strategien der kritischen Analyse sowie der politischen Umsetzung feministischer Ziele werden kontrovers diskutiert.
Die drei Phasen der f. Ph. wurden von S. Stoller durch eine systematische Unterscheidung zwischen Existenz, Differenz und Konstruktion ergänzt. Ihrer Studie zufolge gelingt es S. de Beauvoirs existenzphilosophischer Untersuchung, einen entnaturalisierten Begriff von Geschlechtlichkeit zu etablieren: Man wird nicht als Frau geboren; weibliche Geschlechtsidentität wird durch die Gesellschaft geformt. Nur vor diesem Hintergrund kann die Frage nach der Geschlechterdifferenz gestellt werden. L. Irigarays Werk changiert zwischen einer Kritik an der phantasmatisch-kulturellen Konstruktion von Weiblichkeit und dem Versuch, weibliche Differenz im positiven Sinne zu etablieren, ohne zugleich die Geschlechterdifferenz zu renaturalisieren. Nach Irigaray kann die rechtliche Gleichbehandlung der Geschlechter nur gelingen, wenn die Unterschiede angemessen gewürdigt werden. J. Butler fragt darüber hinaus nach den Bedingungen der Konstruktion geschlechtlicher Identitäten und geschlechtlich markierter Körper. Ausdrücklich verbindet sie diese Frage mit der Untersuchung konstituierender Machtstrukturen, nicht zuletzt um diese Mechanismen der Konstruktion in subversivem Sinne zu nutzen. Diese drei Ansätze müssen sich trotz grundlegender Differenzen Stoller zufolge nicht gegenseitig ausschließen. Gerade die verschiedenen Perspektiven helfen, die philosophische Auseinandersetzung über Geschlechterdifferenz voranzubringen.
Um politische Veränderung zu initiieren, gibt es sowohl vertragstheoretische als auch subversive Strategien. Den vertragstheoretischen Ansatz hat vor allem C. Pateman geprägt. Sie fordert, den Geschlechtervertrag, der unausgesprochen immer schon Bestandteil des Gesellschaftsvertrags ist, explizit zu formulieren. Geschlechtergerechtigkeit wird von ihr an einen fortschreitenden Demokratisierungsprozess gebunden. Dasselbe Ziel verfolgen Strategien der Subversion, auch wenn sie nicht offen auf die Mängel bestehender Ordnungen hinweisen, sondern diese als Lücken nutzen. Die Stellung der Frau außerhalb des Systems begründet ihre dissidente Position (B. Weisshaupt).
Die Vielzahl der Publikationen zur f. Ph. belegen sowohl deren Vielfalt als auch das einigende Interesse der verschiedenen Ansätze. Einen Überblick bieten vor allem M. Heinz’ ausführliche feministische Bibliographien sowie ihre Auseinandersetzung mit traditionellen philosophischen Positionen aus feministisch-kritischer Sicht. H. Nagl-Docekal fasst die aktuelle Debatte unter den Aspekten Anthropologie, Ästhetik, Rationalität und Politik zusammen. Ihre Arbeiten leisten einen wichtigen Beitrag zur Etablierung feministischer Forschung und zur internationalen Verbreitung der deutschsprachigen Debatte. Mit diesem Ziel wurden auch verschiedene Philosophinnenverbände gegründet: so 1972 in den USA die Society for Women in Philosophy (SWIP), aus der u. a. 1986 die Zeitschrift Hypatia hervorging sowie die Reihe Re-Reading the Canon, in denen Positionen von Platon bis Mary Daly einer kritischen Lektüre unterzogen werden. Dem Beispiel der SWIP folgend wurden in vielen anderen Ländern Philosophinnengesellschaften gegründet, so 1974 die Internationale Assoziation von Philosophinnen (IAPh), deren Schwerpunkt in Europa liegt. Seit 1982 werden die Beiträge zu den Symposien der IAPh publiziert und bieten einen Überblick über den Stand f. Ph. Jüngst initiierte die Unesco die Entstehung einer internationalen Philosophinnen-Datenbank. Darüber sollte jedoch nicht in Vergessenheit geraten, dass jenseits von Gender Studies oder Cultural Studies die fortschreitende Institutionalisierung feministischer Forschung insbesondere innerhalb der Philosophie teilweise noch immer Desiderat ist. Die Kritik an der Weiblichkeitsvergessenheit philosophischer Ansätze der Vergangenheit, die Verbreitung des Wissens über die Leistungen von Philosophinnen früherer Zeiten sowie die Unterstützung aktueller philosophischer Forschungen und die Förderung der Arbeit von zeitgenössischen Philosophinnen gehen dabei Hand in Hand.
BES
Lit: S. de Beauvoir: Le deuxième sexe. Paris 1949 (dt.: Das andere Geschlecht). – J. Butler: Gender Trouble. Routledge 1990 (dt.: Das Unbehagen der Geschlechter). – B. Christensen (Hg.): Wissen – Macht – Geschlecht. Philosophie und die Zukunft der ›condition féminine‹. Zürich 2002. – S. Doyé/M. Heinz/F. Kuster (Hg.): Philosophische Geschlechtertheorien. Ausgewählte Texte von der Antike bis zur Gegenwart. Stuttgart 2002. – M. Heinz u. a. (Hg.): Feministische Philosophie. Bibliographie. Bielefeld/Frankfurt 1996 ff. (3 Bde.). – L. Irigaray: Speculum de l’autre femme. Paris 1974 (dt.: Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts). – M. Jaggar/I. M. Young (Hg.): A Companion to Feminist Philosophy. Oxford 1998. – A. Krebs: Arbeit und Liebe. Die philosophischen Grundlagen sozialer Gerechtigkeit. Frankfurt 2002. – H. Nagl-Docekal: Feministische Philosophie. Ergebnisse, Probleme, Perspektiven. Frankfurt 2004. – Dies./C. Klinger (Hg.): Continental Philosophy in Feminist Perspective. Re-Reading the Canon in German. The Pennsylvania University 2000. – U. I. Meyer: Die Welt der Philosophin. 4 Teile [Antike bis Gegenwart]. Aachen 1995–1998. – M. Nussbaum: Women and Human Development. Cambridge 2000. – C. Pateman: The Sexual Contract. Stanford 1988. – G. Postl (Hg.): Contemporary Feminist Philosophy in German. Special Issue, Hypatia. A Journal of Feminist Philosophy 20/2/2005. – B. Schmitz: Der dritte Feminismus. Aachen 2007. – R. M. Schott: Discovering Feminist Philosophy. Lanham, Md. u. a. 2003. – S. Stoller: Phänomenologie der Geschlechtlichkeit. Nijmegen 2006. – N. Tuana (Hg.): Re-Reading the Canon. University Park, Pennsylvania 1994 ff. (Buchreihe, bisher 29 Bände). – B. Weisshaupt: Spuren jenseits des Selben. Identität und Dissidenz. In: Psychoanalytisches Seminar Zürich (Hg.): Bei Lichte betrachtet wird es finster. Frauen-Sichten. Frankfurt 1990. S. 105–119.
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Philosophie,japanische
Die j. Ph. lässt sich prinzipiell in zwei Abschnitte unterteilen: (1) Die traditionelle, für die der Shintoismus die lebensweltliche Grundlage bildete, in die der Konfuzianismus (6. Jh.) und später der Neokonfuzianismus (13. Jh.) inkulturiert werden konnten. Zudem bildet der aus Indien stammende Buddhismus, der durch die Übersetzung in die chinesische Kultur tiefgreifende Veränderungen erfuhr und von dort aus seinen Weg nach Japan fand, ein wesentliches Moment im traditionellen japanischen Denken. (2) Die moderne j. Ph., die durch die Rezeption der europäisch-westlichen Philosophie seit 1868 entsteht.
(1) Aus dem Shintoismus und Konfuzianismus stammen in Japan keine wesentlichen philosophischen Entwürfe. Ihre Lehren bildeten vielmehr einen allgemeinen lebensweltlichen Hintergrund für die japanische Kultur. Aus dem Buddhismus sind vor allem Kukai für seine sprachphilosophischen Erörterungen und Dôgen für seine zen-buddhistischen Überlegungen zum Zeit-Problem von philosophischem Interesse. Der Neokonfuzianismus blühte in Japan vor allem in der Edo-Zeit (1600–1868) und hat dem traditionellen Denken in Japan verschiedene Impulse verliehen. – (2) Bei der Rezeption der westlichen Philosophie wurde in Japan zunächst der angelsächsischen Philosophie besonderes Interesse entgegengebracht. Dann allerdings wurde gegen Ende des 19. Jh. die deutsche Philosophie (Kant, Hegel u. a.) dominant. 1911 erschien der erste eigenständige Entwurf einer Philosophie von Nishida in seinem Buch »Studie über das Gute«. Seit dieser Zeit entwickelte sich die Philosophie in Japan in verschiedene Richtungen weiter. Zum einen finden wir eine breite Erforschung aller westlichen Philosophen (Platon-, Kant-, Hegel-Forschung usw.), zum anderen entstehen immer wieder eigenständige Versuche zur Philosophie u. a. auch in Rückbezug auf die eigenen asiatischen Traditionen. Für die letztere Strömung ist insbesondere die Kyoto-Schule ein herausragendes Beispiel, deren Themen gegenwärtig u.a. von Ôhashi Ryôsuke (geb. 1944) in verschiedenen Richtungen weiterentwickelt werden. – Neben der Kyôto-Schule hat die moderne japanische Philosophie verschiedene Ansätze hervorgebracht, die philosophisch sehr unterschiedlich motiviert sind. Seit den 20er Jahren (Miki Kiyoshi, 1897–1945) und nach dem zweiten Weltkrieg (Hiromatsu Wataru, 1933–1994) spielte die marxistische Philosophie eine besondere Rolle im Hinblick auf die Kritik der eigenen Kultur. Kuki Shûzô (1888–1941), der bei Heidegger und Bergson studierte, legte 1930 einen philosophischen Versuch vor, bei dem er ausgehend von einem ästhetischen Phänomen (dem sogenannten »iki«) die lebensweltlichen Grundlagen der japanischen Kultur durch die phänomenologischhermeneutische Methode aufzuhellen suchte. Watsuji Tetsurô (1889–1960) entwarf einerseits eine Philosophie des Klimas, die gegen die Heidegger’sche Betonung der Zeit die grundlegende Dimension des Raumes in den Vordergrund rückte. Andererseits entwickelte er im Bereich der Ethik einen Ansatz, der dem ostasiatischen Menschenbild entsprechen sollte. Dieses zeichnet sich nach Watsuji vor allem dadurch aus, dass es nicht von der einzelnen Person ausgeht, sondern der einzelne Mensch sich durch ein Zwischenverhältnis (aidagara) bestimmt, wodurch sich grundlegende Konsequenzen für die Ethik ergeben. Aufgrund der besonderen kulturellen Situation entstand in Japan schon sehr früh eine vergleichende Philosophie, deren Repräsentant Nakamura Hajime (geb. 1912) ist. Auffällig ist eine besondere Betonung der Leibphilosophie seit den 60er Jahren. Insbesondere die eine Vernunft wird im Namen der Sinnlichkeit und Verleiblichung kritisiert (Mori Arimase 1911–1976, Sakabe Megumi geb. 1936, Nakamura Yûjirô, geb. 1925). – Die moderne j. Ph. zeichnet sich generell durch eine große Vielfalt aus, die u. a. eine Frucht der ausgedehnten Rezeption westlicher Philosophie ist. Es ist aber wohl vor allem dann sinnvoll, von moderner »j.« Ph. zu sprechen, wenn neue Wege des Denkens durch die Auseinandersetzung verschiedener Kulturtraditionen (hier vor allem asiatischer und westlicher) gewonnen wurden.
RE
LIT:
- L. Brll: Die japanische Philosophie. Eine Einfhrung. Darmstadt 1989
- Junko Hamada: Japanische Philosophie nach 1868. Leiden 1994
- G. Paul: Philosophie in Japan. Von den Anfngen bis zur Heian-Zeit. Mnchen 1993
- G. K. Piovensana: Recent Japanese Philosophical Thought. 18681994. 31996
- P. Prtner/J. Heise: Die Philosophie Japans. Stuttgart 1995.
Philosophie,arabische
(falsafa). Das Studium der arab. Philosophie hat sich auf diejenigen Problemstellungen zu beschränken, welche zwar innerhalb der arabischen Zivilisation entstanden sind, aber aufgrund ihres besonderen Charakters Teil dessen sind, was die Griechen »Philosophie« nannten. Dieser Terminus wurde im Arabischen durch das Wort »falsafa« wiedergegeben, um eine Denkform zu bezeichnen, die eindeutig griech. Herkunft war. Die philosophische Reflexion wurde durch die Übersetzung großer Teile der griech. Philosophie – darunter des größten Teils der aristotelischen und neuplatonischen Philosophie – ermöglicht. Dies geschah entweder direkt aus dem Griechischen oder vermittels des Syrischen. Die ersten intellektuellen Anstrengungen der Muslime waren der Koranauslegung gewidmet, und schon das heilige Buch des Islam appelliert an das rationale Erkenntnisstreben und brachte andere Wissenszweige des islamischen Denkens hervor: Theologie, Recht, Grammatik, Geschichte usw.
Die rege Übersetzertätigkeit, die im letzten Drittel des 8. Jh. begann, hatte schon im 10 Jh. ihren Abschluss gefunden. Sie wurde maßgeblich durch die abbassidischen Kalifen al-Manṣūr und al-Ma’mūn, dem Gründer der Dar al-Hikma, des Hauses der Weisheit in Bagdad, gefördert. Die Übersetzer überprüften nicht nur die Übersetzungen und kollationierten Handschriften, sondern trugen durch selbständiges Denken zur Entwicklung einer eigenen Philosophie bei.
Der Islam etablierte sich in einem kulturellen Umfeld, in dem der Neuplatonismus das herrschende Denken prägte. Letzterer vereinte zusätzlich pythagoräische, aristotelische und stoische Elemente, welche mit religiösen Komponenten durchsetzt waren. Dieser Synkretismus hatte eine große Affinität mit dem grundsätzlichen Prinzip des Islams, nämlich der Einheit Gottes. Die philosophische Auslegung konnte an neuplatonische Überlegungen über das Eine anknüpfen, wie sie v.a. in den Werken von Plotin und Proklos niedergelegt sind. Die originale Quelle der Philosophie im Islam ist im Pseudo-Aristoteles zu suchen, d.h. in denjenigen Schriften, die Aristoteles zugeschrieben wurden und in denen neuplatonische Lehren vertreten wurden: z.B. die Theologie, die nichts anderes als die Paraphrase der Enneaden von Plotin beinhaltet, das Liber de Causis (eine Bearbeitung von Abschnitten aus Proklos Institutio Theologica), der Tractatus de pomo, usw.
Mit al-Kindī (795–870) beginnt die arabische philosophische Produktion. Er förderte in Bagdad die Übersetzung der aristotelischen Metaphysik und korrigierte die der Theologie. Seine philosophischen Ansichten sind in der Einführung zu seinem Werk De prima Philosophia niedergelegt, in der er die allmähliche Vervollkommnung der Wahrheitskenntnis beschreibt, die durch die Anstrengungen der Philosophen erfolgte. Für ihn kann jede beliebige Quelle zur Wahrheitsfindung dienen, und ferner müssen die Meinungen der früheren Philosophen überprüft und vervollständigt werden.
Al-Fārābī (gest. 950) aus Transoxanien verbrachte den größten Teil seines Lebens am Hof von Sayf al-Daula in Damaskus. Avicenna (Ibn Sina, geb. Buchara 980, gest. Hamadan 1037), der sich für einen Schüler von al-Farabi hielt, stellte die Ansichten der früheren Philosophen zusammen und organisierte sie in einem vollständigen System, für welches er als Grundlage die aristotelische Einteilung der Wissenschaften heranzog. Das Werk des al-Gazālī (Churasan 1070–1111) bildet den Abschluss der islamischen Philosophie im Osten. Darin lehnt er mit Hilfe philosophischer Methodik die Philosophie ab und führt die Dekadenz des damaligen Islam auf die Faszination für die griech. Philosophen zurück.
Die arabische Philosophie fand jedoch ihre Fortsetzung am anderen Ende der islamischen Welt, nämlich im maurischen Spanien, seit im 12. Jh. die Werke der östlichen Philosophen rezipiert wurden. Die drei größten spanisch-arabischen Philosophen waren Avempace (Ibn Bāğğa), Ibn Tufayl und Averroes (Ibn Rušd). Der Erstgennante (gest. 1138) setzte die Philosophie von al-Kindī fort, indem er im islamischen Westen die politischen Konzeptionen des al-Fārābī einführte und ethisch und individuell umsetzte. Ibn Ṭufayl aus Granada (gest. 1185) war im mittelalterlichen christlichen Europa durch sein Werk Philosophus autodidactus berühmt. Mit Averroes (gest. 1198) aus Cordoba fand der philosophische Rationalismus im Islam seinen Höhepunkt und Abschluss. Auf das lat. MA. übte er bedeutenden Einfluss durch seine umfangreichen Aristoteles-Kommentare aus.
CP
LIT:
- H. Corbin: Histoire de la philosophie islamique. I (1964), II (1974); jetzt zusammen in engl. bersetzung u. d. T.: History of Islamic Philosophy. London/New York 1993
- G. Endre: Die Wissenschaftliche Literatur. In: Grundri der arabischen Philologie II: Hg. von H. Gtje. Wiesbaden 1987. S. 400506 (mit Bibliographie)
- Ders.: Philosophie. In: Grundri der arabischen Philologie III. Hg. von Fischer. Wiesbaden 1992. S. 2561
- M. Fakhry: A History of Islamic Philosophy. London/New York 1970
- M. Marmura: Die islamische Philosophie des Mittelalters. In: Der Islam II. Hg. v. Watt/Marmura. Stuttgart 1985. S. 320392 R. Ramn Guerrero: El pensamiento filosfico rabe. Madrid 1985
- G. Strohmaier: Denker im Reich der Kalifen. Jena/Berlin 1979
- W. M. Watt: Islamic Philosophy and Theology. Edinburgh 1962.